Ab Freitag im Kino

"Greenland": Dieser Katastrophenfilm könnte für Trump werben

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In „Greenland“ wird die Welt wieder von einem Kometen bedroht. Und ein Ingenieur (Gerard Butler) muss seine Familie retten. Ein nicht nur im Covid-Kontext dubioser Katastrophenfilm.

Immer wenn die Rechtmäßigkeit von Autorität infrage steht, reagiert Hollywood mit Katastrophenfilmen, analysierte der Filmessayist Thom Andersen in seinem Leinwand-Stadtporträt „Los Angeles Plays Itself“ (2003). Dabei wird die Residenz der Traumfabrik, also Los Angeles, mit besonderer Vorliebe zertrümmert: eine augenzwinkernde Anerkennung ihres Symbolstatus als Sündenpfuhl der Vereinigten Staaten.

Doch auch Suburbia ist nicht vor dem Zugriff filmischer Verwüstungsfantasien gefeit. Diese speisen sich meist aus Ordnungsverlustängsten. Und strafen den Mythos der „liberalen“ US-Filmindustrie Lügen. Jüngstes Zeugnis dieser Desasterseligkeit ist der Film „Greenland“, der am Freitag in Österreich anläuft.

Unser Held heißt John – wie Johannes, dem Gott die Apokalypse offenbarte. Er ist ein Ingenieur, der Wolkenkratzer entwirft, ein Schöpfer und Leistungsträger. Jemand, den die Gesellschaft braucht, wie es später heißt. Er lebt in einem schmucken Holzhaus in der schmucken Vorstadt. Er kennt sich aus mit „Mathe und Brüchen“. Er hat einen Grill, ein kleines Bäuchlein, einen ordentlichen Bizeps. Ein Mann. Aber sensibel! Väterlich herzt er seinen zuckerkranken Sohn. Und windet sich zerknirscht vor seiner Liebsten Allison (Morena Baccarin). Das mit dem Fremdgehen tut ihm leid. Sie braucht noch etwas Abstand? Kein Problem.

Überleben will verdient sein

Gerard Butler ist als John perfekt besetzt, sein Antlitz bauscht sich als bärtiges Banner bedrückter Besorgnis. Denn Unheil liegt in der Luft. Am Himmel: ein Komet. Nicht schlimm, sagt das Fernsehen. Doch John weiß es besser. Eine Privatnachricht der Regierung, die Allison überhört, weil sie sich (typisch Frau!) gerade die Haare föhnt, kündet vom dräuenden Armageddon. Nur einige wenige wurden für die Evakuation nach Grönland auserkoren (daher der Titel). Auf dem Weg zum Flughafen weigert sich John, der rücksichtsvolle Realist, bitterlich flehende Bekannte mitzunehmen. Nicht bös gemeint: Das Paradies will verdient sein.

Regisseur Ric Roman Waugh („Angel Has Fallen“) schafft einen soliden Spannungsaufbau: Sein Film schildert keinen abrupten Absturz ins Pandämonium, sondern einen sukzessiven Auflösungsprozess, zwischen Panik, Resignation und Solidarität. Die Familie wird getrennt. Kommt sie wieder zusammen? Suspense! Vieles hier spielt bei Nacht, was das (relativ) bescheidene Budget kaschiert. Und eine intime, subjektive Bodenperspektive stützt, die an Steven Spielbergs „Krieg der Welten“ erinnert.

Pures Kernfamilien-Durchhaltekino

Altbekannt ist auch der Motivkatalog. Angst vor dem gesichtslosen, plündernden Mob (die Zurückgelassenen wüten wie Zombiehorden). Glaube an Gemeinschaft und gute Samariter. Vertrauen ins Militär (das hier betont hilfsbereit auftritt). Argwohn gegen einen anonymen Staat – dessen brachial pragmatische, vage eugenische Menschenselektion (keine Diabetiker auf der Arche Noah!) jedoch nie hinterfragt wird. Dazu ein evangelikaler Beigeschmack (Bibelverse im Notfunk). Und eingefahrene Rollenbilder. Frauen fühlen, flennen und trösten. Männer führen an und halten durch. Ältere opfern sich demütig. Novum: Der Paterfamilias bleibt höflich, auch im Angesicht des Untergangs. Bis sein Umfeld zu weit geht. Dann wird der Ernährer zum Zerstörer. Wider Willen? Schwer zu sagen.

Nur ein Film? Sicher. Doch vor dem Hintergrund einer von Waldbränden, Viren und Protesten geschüttelten USA wecken seine Bilder einschlägige Assoziationen. Es fällt schwer, nicht an die Pandemie zu denken, die in den Vereinigten Staaten mehr Tote gefordert hat als irgendwo sonst. So gesehen erscheint „Greenland“ wie pures Kernfamilien-Durchhaltekino. Sein Ausnahmezustand bringt keine sozialen oder politischen Missstände zum Vorschein, wie es etwa in vielen Zombiethrillern der Fall ist. Er ist ein Gottesurteil, eine überfällige Feuerprobe, aus der tapfere, tüchtige und moralisch würdige Überlebensgemeinschaften gestärkt und geschlossen hervorgehen.

Zuweilen wirkt das fast wie ein Werbeclip für die Republikaner unter Donald Trump, der sich im laufenden Wahlkampf mit vorbildlichem Krisenmanagement brüstet. Aber der Start von „Greenland“ wurde in den USA aufgrund von Corona in den Dezember nach der Wahl – und vom Kino ins Netz – verschoben. Und man könnte ihn (mit viel Anstrengung) auch anders deuten: als Tragödie über die Verschleppung adäquater Hilfsleistungen, die Vernachlässigung breiter Bevölkerungsschichten, das Scheitern eines exklusiven Gesundheitssystems. Aus dieser Perspektive ist es von der Katastrophenmetaphorik des Kometen nicht mehr weit zur Klimakrise – und vom gelobten „Greenland“ zur (von Trump abgelehnten) Idee des „Green New Deal“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2020)

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