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Diese Spinnen können hören

(c) APA/AFP/CHRISTOF STACHE
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Wurfnetzspinnen interpretieren tiefe Frequenzen als Laute von Beutetieren, hohe Töne als Signale von Fressfeinden.

Wenn man sich kurz einmal nicht vor Viren, sondern vor Tieren gruseln will, drängt sich die in Florida heimische Spinne Deinopis spinosa auf, auf Deutsch Wurfnetzspinne genannt, weil sie ein Netz über ihre Beute wirft.

Auf Englisch heißt sie „ogre-faced spider“, abgeleitet vom Oger, das ist ein gewalttätiges, menschenähnliches, aber sehr haariges Märchenwesen, mit dem man am besten fertig wird, indem man es blendet. Gern wird es mit Glupschaugen dargestellt.

Solche hat auch die Wurfnetzspinne, und zwar wirklich riesige, groß wie Sixties-Sonnenbrillen. Entsprechend gut sieht sie in der Nacht, zum Leidwesen ihrer Beutetiere. Aber verlässt sie sich bei der Jagd nur auf ihre Augen? Auf diese Frage kamen Forscher um Ronald Hoy (Cornell University, Ithaca), weil sie die Spinne dabei beobachteten – und filmten, wie sie fliegende Insekten mit einer elegant choreografierten Rückwärtsbewegung fängt. Dabei hat sie ihre Beute offensichtlich nicht im Auge. Um das zu bestätigen, blendeten die Forscher die Spinnen, indem sie ihnen die Augen mit einer dünnen Silikonschicht bedeckten: Tatsächlich, die Spinnen fingen die Insekten trotzdem! Das heißt, sie bedienen sich eines zweiten Sinnesorgans. Allerdings haben Spinnen – im Gegensatz zu vielen Insekten – gemeinhin keinen Hörsinn (der Schall, also Bewegung der Luft, über ein Trommelfell wahrnimmt), nur einen Sinn für Vibrationen, mit dem sie registrieren, wenn ihr Netz vibriert.

Doch die Forscher spielten den Wurfnetzspinnen aus zwei Meter Entfernung diverse Töne vor, von 150 bis 4400 Hertz. Auf tiefe Frequenzen, bis zu 750 Hertz, reagierten etliche Spinnen mit der eleganten Rückwärtsbewegung: Sie deuten sie offenbar als Signale von Beutetieren.

Neurophysiologische Messungen mit Elektroden an den Beinen der Spinnen ergaben ein anderes Bild: Auch hohe Töne – bis zu 10.000 Hertz – lösen eine neuronale Reaktion aus, aber keine Bewegung. In „Current Biology“ (29. 10.) interpretieren die Forscher das so: Die Spinnen deuten hohe Töne als Signale von Vögeln, die Spinnen fressen, und sie reagieren darauf mit Starre, stellen sich sozusagen tot.

Wie nehmen die Wurfnetzspinnen die Töne wahr? Offenbar mit Haar- und Gelenksrezeptoren auf ihren Beinen, die so sensibel sind, dass sie nicht nur Vibrationen fester Gegenstände, sondern auch der Luft wahrnehmen. Als Nächstes soll erforscht werden, ob sie auch hören, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Ihr akrobatisches Jagdverhalten spricht dafür.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2020)

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