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Borat unter Corona-Leugnern

Borat
BoratAmazon Studios
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Sacha Baron Cohen hat seine Kultfigur „Borat“ wiederbelebt. Der naiv-subversive Reporter sorgt für vereinzelte Lacher – ist aber dem Wandel der Zeit nicht gewachsen. Zu sehen auf Amazon.

Hach, die gute alte Zeit! Als „Kasachstan“ (jede Ähnlichkeit mit echten Staaten ist Zufall) noch eine glorreiche Nation war – und ihr jährlicher „Judenlauf“ Groß und Klein begeisterte! Die Welt ist nicht mehr das, was sie mal war. Auch für den rasenden Reporter Borat, der einst auszog, um „kulturelle Lernung“ zu betreiben.

Wir erinnern uns: 2006 wagte der britisch-jüdische Comedian Sacha Baron Cohen den Kino-Alleingang seiner vielleicht gewagtesten Kunstfigur. Borat Sagdiyev war ein TV-Journalist aus dem Bilderbuch: Stets zuvorkommend, frei von Hintergedanken oder unliebsamen investigativen Absichten. Aber auch offen rassistisch, sexistisch und antisemitisch – kraft seiner Herkunft aus der absichtsvoll überspitzten Karikatur-Version eines unterentwickelten Ostblock-Kaffs.

In formschöner Exotenmaskerade (Schnauzbart, schlecht sitzender Anzug, windschiefer Akzent) tingelte er durch die USA. Und brachte Menschen mit seiner Mischung aus Naivität und gezielter Provokation an ihre Toleranzgrenzen. Bisweilen legte er Abgründiges frei: Viele Interviewpartner ließen ihrer Misanthropie im Beisein eines vermeintlich Gleichgesinnten freien Lauf.

abei ging es Cohen nie um herablassende Verballhornung: Seine Performance frotzelte Vertreter aller Sparten, Schichten und Überzeugungen. Und sie war ein Musterbeispiel für das, was die Kids heute „cringe“ nennen: Fremdscham, die potenzielle (Selbst-)Erkenntnis birgt. Gepaart mit Ekelwitz und derber Körperkomik sorgte das für vorhersehbare Kontroversen. Und wurde Kult. Borats Begrüßungsfloskel „Jagshemash“ (eine Verwurstung des polnischen „Wie geht's?“), seine Stammsprüche „nice“ und „my wife“, das hörte man bald überall.

Cohen selbst entwickelte sich weiter. Inzwischen steht der 49-Jährige auf der Schwelle zu einer „seriösen“ Schauspielkarriere. Aber der Schelm in ihm lebt. 2018 zeigte er sich in der Serie „Who Is America?“ erneut als vermummter Schlawiner, brachte einen Politiker dazu, rassistische Invektiven zu brüllen, ließ sein Waterboarding-Set von Dick Cheney unterzeichnen. Und holte jetzt auch Borat aus dem Ruhestand.

Borat hat jetzt eine Tochter

Klappt dessen Täuschungsschmäh ein zweites Mal? Jein. Das Kernproblem der „Borat“-Fortsetzung, die auf Amazon zu sehen ist, wird von ihr sogar direkt angesprochen: Jeder kennt den Star aus Kasachstan, niemand fällt mehr auf ihn herein. Cohens Lösungsansatz ist zumindest sympathisch: Borat hat eine Tochter namens Tutar! Die bulgarische Schauspielerin Maria Bakalova gibt sie mit ansteckendem Enthusiasmus. Der Film ist nicht zuletzt eine Plattform für das Comedy-Talent der Mittzwanzigerin.

Es gibt auch eine Handlung: Weil Kasachstan dank Borats Eskapaden als Lachnummer dasteht, soll er nun Staatschef Nasarbajew (Dani Popescu) in die weltpolitische Oberliga hieven, indem er Trump ein Geschenk überreicht – zum Beispiel seine Tochter. Das führt die beiden quer durch die USA, vor und nach Beginn der Pandemie.

Ihren Aktionen fehlt es nicht an Chuzpe – etwa wenn Cohen im Trump-Kostüm eine Mike-Pence-Rede crasht. Aber wen kümmert's? Die Medienschulung ist fortgeschritten, auch die Paranoia, alle sind auf der Hut. Oder bieten geschlossen Paroli. Die vermeintliche Pièce de résistance des Films (ein Interview Bakalovas mit Trump-Intimus Rudy Giuliani, nachdem sich dieser vor versteckter Kamera in die Hose greift) ist mehr Skandal-PR als Ibiza-Video.

Auch darum setzt Cohen auf Dramaturgie und klassisch-ironischen (Wort-)Witz. Absurd: Eine Szene, in der das Familiengespann einen Abtreibungsgegner bittet, bei der „Entfernung“ einer verschluckten Tortendeko in Babyform zu helfen. Grenzgenial: Eine andere, in der Borat von Fake News auf Facebook im Glauben an seinen geliebten Holocaust erschüttert wird. Bis eine Schoah-Überlebende ihn eines Besseren belehrt.

Cohens persönliche, linksliberale Polit-Haltung scheint viel stärker durch als im ersten Film. Doch Borat und „Wokeness“, das geht schlecht zusammen. Ebenso wie Borat und die Neue Rechte. Als Cohen bei einer Corona-Leugner-Veranstaltung ein Lied anstimmt, das vorschlägt, Wissenschaftler zu „vergasen“, und viele mitsingen, erzeugt das keinen Aha-Effekt, der komödiantische Bloßstellung bewirken könnte. Die Satire und ihr Ziel sind deckungsgleich: Was wir sehen, ist die neue Normalität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2020)

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