Polen

Frauenprotest bringt Kaczyński in Bedrängnis

Die Massendemonstrationen gegen ein weitgehendes Abtreibungsverbot halten an.
Die Massendemonstrationen gegen ein weitgehendes Abtreibungsverbot halten an. REUTERS
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Die Massendemonstrationen gegen ein weitgehendes Abtreibungsverbot halten an. Die geplante Inkraftsetzung des Gesetzes wurde verschoben. Offenbar kann sich der PiS-Chef der Zustimmung seiner Fraktion nicht sicher sein.

Warschau. Auch zwölf Tage nach dem umstrittenen Verfassungsgerichtsurteil gegen Abtreibungen gehen die wütenden Proteste in ganz Polen weiter. Erst am Montag wurden Dutzende von wichtigen Verkehrsadern von Menschenketten lahmgelegt. Die meisten Autofahrer nahmen es gelassen, viele hupten aus Solidarität mit den demonstrierenden Frauen.

Erst am Wochenende hatten landesweit 400.000 Bürger gegen das Verfassungsgerichtsurteil und die PiS-Regierung demonstriert. Allein in Warschau waren 100.000 Bürgerinnen und Bürger, darunter auffallend viele junge Frauen, vor das Wohnhaus von PiS-Chef und Vizepremier Jaroslaw Kaczyński gezogen. „Verpiss Dich, hau ab!“, riefen sie in Sprechchören. Und: „Mein Körper gehört mir!“

Bisher hatte sich der machtverliebte Taktiker Kaczyński nie verrechnet, wenn es darum ging, politisches Kapital aus der Entzweiung der polnischen Gesellschaft zu schlagen. Nun aber droht das Urteil des völlig der PiS unterworfenen Verfassungsgerichts (14 von 15 Richter stehen der PiS nahe) die Regierungspartei zu schwächen. Jüngste Umfragen zeigen, dass PiS seit dem Urteil vom 22. Oktober von rund 40 auf 30 Prozent Zustimmung abgesackt ist. Eingebrochen ist auch die oppositionelle, extrem wertkonservative rechtsextreme „Konföderation“. Etwas gewonnen hat dagegen die liberale „Bürgerkoalition“, die mit 25 Prozent PiS aber immer noch nicht überrundet hat.

Vorstoß des Präsidenten

Angesichts dieser Zahlen hat sich die Kaczyński-Regierung dazu entschieden, das Verfassungsgerichtsurteil einstweilen nicht zu publizieren. Kanzleichef Michal Dworczyk begründete den ungewöhnlichen Entscheid – das Urteil hätte bis spätestens 2. November publiziert und damit zum Gesetz erhoben werden müssen – am Dienstag mit einem Vorschlag von Staatspräsident Andrzej Duda zum Abtreibungsgesetz. Dudas Gesetzesnovelle wird von PiS als Kompromisslösung beworben. Sie läuft darauf hinaus, dass die durch das Verfassungsgerichtsurteil verbotenen Abtreibungen von „schwergeschädigten Föten“ weiterhin vorgenommen werden könnten, wenn medizinisch nachgewiesen werden kann, dass das Kind sofort nach der Geburt sterben würde.

Duda hat das Gesetz am Dienstag im Sejm, Polens großer Parlamentskammer, eingereicht. Doch dieser vertagte die für Mittwoch geplanten Beratungen – angeblich wegen Covid-19 – um zwei Wochen. Laut der Opposition kann sich Kaczyński inzwischen selbst nicht mehr sicher sein, dass eine Mehrheit seiner Regierungsfraktion Dudas Kompromissvorschlag zustimmt.

Von Premierminister Mateusz Morawiecki angeregte Konsultationen mit der Opposition über Corona und ein neues Abtreibungsgesetz waren am Montag gescheitert. Sowohl die Linke wie die liberale „Bürgerkoalition“ verweigerten eine Teilnahme. Einzig die kleine Bauernpartei PSL zeigte sich bereit, mit PiS zu sprechen. Die PSL will wohl einen eigenen Abtreibungskompromiss einreichen.

Warnung vor Blutvergießen

Alle diese „Kompromisse“ müssen indes das neue Verfassungsgerichtsurteil berücksichtigen, das rund 98 Prozent der bisher noch rund 1100 legal vorgenommenen Abtreibungen für illegal erklärt hat.

In der Gesellschaft ist die Diskussion über Abtreibungen während der vergangenen zwölf Protesttage heftig weitergegangen. Immer mehr Polinnen und Polen fordern eine Liberalisierung des sehr restriktiven Abtreibungsgesetzes. Die Diskussionen sind inzwischen so hitzig geworden, dass am Montag rund 200 Generäle in einem Offenen Brief vor einem Blutvergießen gewarnt hatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2020)

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