US-Präsidentschaftswahl

Die Politik und die verrückten Märkte

Die New Yorker Börse am Tag nach der Wahl.
Die New Yorker Börse am Tag nach der Wahl.(c) REUTERS (CARLO ALLEGRI)
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Die Achterbahnfahrt in der Wahlnacht und die Rallye danach lassen Anleger verwundert zurück. Wie wichtig ist die US-Politik für Börsianer, und kann man sich auf die kommenden Wochen überhaupt vorbereiten?

New York. An der Wall Street gibt es zwei unterschiedliche Lager. Die eine Gruppe ist felsenfest davon überzeugt, dass politische Börsen kurze Beine haben und es mittel- bis langfristig an den Aktienmärkten um die Profitabilität und Innovationskraft der Firmen gehe. Politische Ereignisse, selbst noch so wichtige wie die US-Präsidentschaftswahl, seien weitgehend zu ignorieren, so das Argument. Schwachsinn, entgegnet die andere Gruppe. Sie verweist auf vergangene Woche und die extremen Bewegungen in der Wahlnacht und den darauffolgenden Tagen. Beide Lager haben Recht.

Die Anhänger der „Politik-ist-egal“-Theorie können darauf verweisen, dass mit der Hängepartie exakt jenes Szenario eingetreten ist, wovor alle Beobachter wochenlang gewarnt haben – und die Kurse trotzdem durch die Decke gingen. In der Tat hat sich der US-Aktienmarkt in den vergangenen Jahrzehnten wenig darum geschert, wer im Weißen Haus sitzt, und sich immer wieder entgegen den oftmals viel zu simpel gestrickten Konventionen entwickelt. Die Welt ist viel komplizierter, als es die gern geäußerte Vermutung der Konservativen nahelegt, wonach Republikaner wirtschaftsfreundlicher und deshalb besser für die Aktienmärkte seien. Und sie ist auch viel komplizierter als die von den Linksliberalen propagierte Annahme, wonach Demokraten weniger konfliktbedacht und verhandlungsbereiter seien und deshalb für weniger Drama an den Märkten sorgen würden.

Der Tipp, die Politik zu ignorieren, hat schon Sinn, vor allem für langfristige Investoren. Es gilt, Bewertungen unter die Lupe zu nehmen und darauf basierend einen ordentlichen Investmentplan zu entwickeln. Und sich dabei weniger darum zu kümmern, wie Wahlen oder Kriege ausgehen. Über Jahrzehnte hinweg entwickeln sich die Aktienmärkte immer positiv, daran kann kein Präsident und auch keine demokratische oder republikanische Mehrheit im Senat etwas ändern. Warren Buffett ist ein begeisterter Anhänger dieser Theorie. Man kann davon ausgehen, dass seine Investmentfirma Berkshire Hathaway vergangene Woche keine Entscheidung anhand des Wahlkrimis getroffen hat. Langfristig orientierte Kleinanleger tun gut daran, es dem Starinvestor gleichzutun und stets Ruhe zu bewahren.

Erleichterung über Senat

Gleichzeitig betont die „Politik-ist-wichtig“-Gruppe, dass diese Präsidentschaftswahl die Kurse an der Wall Street und den globalen Märkten jahrelang beeinflussen wird. Auch sie haben Recht, das zeigt nicht zuletzt die Achterbahnfahrt in der Wahlnacht. Zunächst rechneten die Investoren mit einer „blauen Welle“, also Joe Biden im Weißen Haus und einer demokratischen Mehrheit in beiden Kongresskammern. Wie sich herausstellte, bewerteten die Anleger dieses Szenario als das schlimmste – und nicht einen unklaren Wahlausgang. Investoren flüchteten in Staatsanleihen, die Rendite für zehnjährige US-Papiere stieg auf den höchsten Wert seit März.

Wenig später war plötzlich Trump kurzzeitig der klare Favorit. Der Kurs des chinesischen Yuan brach ein, weil Investoren mit einer Fortsetzung des Handelskriegs rechneten. Die Technologiebörse Nasdaq musste den Handel aussetzen, nachdem Futures mitten in der Nacht innerhalb von Minuten um 3,5 Prozent zulegten. Die „blaue Welle“ war vom Tisch und nach Meinung der Händler damit auch strengere Regeln für die Technologiegiganten wie Apple oder Facebook. In der gleichen Tonart ging es Mittwoch und Donnerstag weiter, trotz des vorerst unklaren Ausgangs der Wahl legten die US-Märkte deutlichste Gewinne hin.

Es zeigte sich, dass sich die Börsianer zum größten Teil um den Senat scherten. Mit einer republikanischen Mehrheit sind Steuererhöhungen vom Tisch, das scheint den Investoren die größte Sorge bereitet zu haben. Tatsächlich würden höhere Abgaben die Gewinne der US-Firmen über Jahre belasten. Jeder Kleinanleger, der in den USA investiert ist, kann gemeinsam mit den großen Fischen aufatmen.

Es können noch andere Lehren aus der US-Wahlwoche gezogen werden. Das „Wall Street Journal“ sprach von „verrückten Märkten“, und viele Experten verwiesen darauf, dass die New Yorker Börse wieder einmal überreagiert hat, und mit ihr nahezu alle Aktienmärkte der Welt. Das war im März so, als es zu Beginn der Pandemie innerhalb von Tagen in einem noch nie gesehenen Tempo nach unten ging. Und das war in den darauffolgenden Monaten so, als sich die Kurse erholten, als ob es das Coronavirus nie gegeben hätte. Die Nervosität ist groß, zudem tun die automatisierten Handelssysteme, die im Fall von rasanten Gewinnen oder Verlusten anschlagen, oft das Übrige dazu.

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