Spielplan

Neuer Volkstheater-Direktor startet mit Grenzgängen

Kay Voges lädt zu "Grenzgängen zwischen Darstellender und Bildender Kunst, zu musikalischen und choreografischen Produktionen, zu diskursiven und partizipativen Formaten".
Kay Voges lädt zu "Grenzgängen zwischen Darstellender und Bildender Kunst, zu musikalischen und choreografischen Produktionen, zu diskursiven und partizipativen Formaten".APA/HANS PUNZ
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Die erste Spielzeit von Kay Voges bringt Experimentelles ins frisch renovierte Volkstheater. Es gibt „Phantomtheater“ und Lydia Haider lässt "alle Arschlöcher abschlachten“.

Zuschauerraum hell. Bühne hell. So beginnt „Der Raum“, Ernst Jandls 1973 in Villach uraufgeführtes „szenisches Gedicht für Beleuchter und Tontechniker“, ohne Schauspieler. Kay Voges, 2019 zum Direktor des Wiener Volkstheaters bestellt, eröffnet damit am 8. Jänner – nach der Renovierung des Hauses – seine erste Saison: ein lichtvolles Statement. Ebenso programmatisch folgen „Black Box“ von Stefan Kaegi und der Gruppe Rimini Protokoll, ein „Phantomtheater für eine Person“ – die jeweils für fünf Minuten ein Besucher ist – und Voges' Inszenierung von Thomas Bernhards „Der Theatermacher“, die 2018 in Dortmund, wo Voges Intendant war, Premiere hatte.

Aus Dortmund bringt Voges auch seine Inszenierung von Becketts „Endspiel“ mit, in der das Elternpaar Nagg und Nell gestrichen wurde. Frisch inszeniert er „Die Politiker“ vom Hamburger Autor Wolfram Lotz, ein Stück, das laut Aussendung „Blut reinpumpt in eine festgefahrene politisch-gesellschaftliche Debatte“. Susanne Kennedy, Shooting Star neudeutscher Postpostdramatik, führt Regie bei ihrer eigenen Bearbeitung von Tschechows „Drei Schwestern“, Puppenbauer Jan Friedrich aus Eisleben bei Gerhart Hauptmanns Kammerspiel „Einsame Menschen“, Sascha Haweman aus Berlin bei einer Theaterfassung von Dostojewskis frühem Roman „Erniedrigte und Beleidigte“.

Jelinek, Meese, Mozart

Die Schweizer Regisseurin Claudia Bossard, die im Jänner 2020 im Kosmostheater Elfriede Jelineks „Das Werk“ inszeniert hat, widmet sich nun im Volkstheater einem anderen Teil von Jelineks Alpentrilogie, „In den Alpen“, und kombiniert ihn mit „Après les Alpes“, neu verfasst vom Grazer Dramatiker Fiston Mwanza Mujila.

Der Erzkünstler Jonathan Meese befasst sich diesmal nicht mit Richard Wagner, sondern mit Lolita, sein Stück trägt etliche hochgradig manierierte Titel (alle im Original in Großbuchstaben), der erste lautet „Kampf-Lolita (Evolution ist Chef)“. Fächerübergreifend ist auch die Performance „Bliss“ von Ragnar Kjartansson, in der die letzte Arie aus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ zwölf Stunden lang wiederholt wird.
Als Hausautorin hat Voges die Steyrerin Lydia Haider gewonnen, sie hat sich u. a. als Herausgeberin der Anthologie „Und wie wir hassen“ und mit barock-derben Texten einen Namen gemacht.

Von ihr stammt das Stück der ersten Uraufführung an Voges' Volkstheater, es heißt „1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten“. Voges hält Haiders „wirklich schwarzen Humor“ laut APA-Interview für „Wiener Schmäh“. Haider wird auch an einer Reihe namens „Lesen und Tschechern“ in der Roten Bar teilnehmen, dort werden auch Horrorfilmregisseur Jörg Buttgereit und FM4-Filmredakteur Christian Fuchs unter dem Titel „Nackt & Mutiert“ ihren Obsessionen frönen. Irgendwann im Frühling soll das ganze Ensemble im ganzen Haus aus Musils „Der Mann ohne Eigenschaften lesen.

„Subversiver Zwilling“ in den Bezirken

Unter dem Dach wurde eine „Blackbox“ alias Dunkelkammer eingerichtet, dort wird „Konstellationen“ von Nick Payne und „Uncanny Valley“ vom Rimini Protokoll gespielt. Das Volkstheater in den Bezirken, bisher eher konventionell programmiert, soll unter der Leitung des Düsseldorfers Calle Fuhr „der subversive Zwilling des Haupthauses“ sein, Fuhr wird dort etwa den Monolog „Heldenplätze“ präsentieren. In der Zweigstelle Volx/Margareten kommt in Voges' erster Spielzeit nur eine Produktion: „Humane Methods [Exhale]“ der Gruppe Vacuo, wobei der Mensch auf Algorithmen treffen soll.

Auf manche Projekte, darunter „eine vier-, fünfstündige Oper mit riesigem Besteck“ musste Kay Voges ob der Corona-Pandemie verzichten, er singe seit einigen Tagen Brechts „Ja, mach nur einen Plan“ vor sich hin, sagt er. Es komme eine „Spielzeit under construction“, der „Muff der letzten 130 Jahre“ sei jedenfalls „abgekratzt“ worden. Radikal umgebaut hat Voges auch das Ensemble, geblieben sind nur Claudia Sabitzer, Evi Kehrstephan, Stefan Suske und Günther Wiederschwinger. Dafür hat Voges sieben Akteure aus Dortmund mitgebracht, zehn kommen aus anderen Häusern.

Der neue Direktor tritt kein leichtes Erbe an, er hat ein kriselndes, von Zuschauerschwund gezeichnetes Volkstheater übernommen. Die Probleme sind nicht nur coronabedingt: Schon im Vorjahr konnte das Haus, das im Eigentum einer vom ÖGB errichteten Privatstiftung steht, nur noch 16,4 Prozent seiner Kosten durch seine Einnahmen decken.

Neues Ensemble

Das neue Ensemble umfasst in dieser Spielzeit 20 Schauspieler (und somit um fünf mehr als jenes von Anna Badora), ein überwiegender Teil ist dabei neu für das Wiener Publikum: Darunter findet sich mit Nick Romeo Reiman ein vor allem aus Filmen bekanntes Gesicht (u.a. "Türkisch für Anfänger"), Julia Franz Richter war zuletzt am Schauspielhaus Graz engagiert, Samouil Stoyanov an den Münchener Kammerspielen, er arbeitete aber in "Der Alte" oder "Soko München" auch fürs Fernsehen. Mit Anna Rieser kommt eine 2019 mit dem Nestroy als "bester Nachwuchs" ausgezeichnete Akteurin aus dem Landestheater Linz nach Wien. Sieben Schauspielerinnen und Schauspieler hat Voges aus Dortmund mitgebracht. Mit Claudia Sabitzer, Evi Kehrstephan, Stefan Suske und Günther Wiederschwinger bleiben dem Haus vier alte Bekannte erhalten, Doris Weiner ist nur noch dieses Jahr dabei. Für die kommende Saison hofft Voges, noch weitere vier neue Ensemblemitglieder aufzunehmen.

Premieren im Haupthaus

  • „Der Raum“ von Ernst Jandl, Regie: Kay Voges, 8. 1.
  • „Black Box“ von Stefan Kaegi, 9. 1.
  • „Der Theatermacher“ von Th. Bernhard, 10. 1.
  • „Drei Schwestern“ von Susanne Kennedy, 14. 1.
  • „Zertretung“ von Lydia Haider, R: Voges, 16. 1.
  • „Bliss“ von Ragnar Kjartansson, 17. 1.
  • „Einsame Menschen“ von Gerhart Hauptmann, Regie: Jan Friedrich, 30. 1.
  • „Endspiel“ von S. Beckett, R: Voges, im Februar
  • „Erniedrigte und Beleidigte“ nach Dostojewski, Regie: Sascha Hawemann, im März
  • „In den Alpen“ von Elfriede Jelinek + „Après le alpes“ von F. M. Mujila , R: Claudia Bossard, im März
  • „Kampf L.O.L.I.T.A.“ von Jonathan Meese, im März
  • „Die Politiker“ von Wolfram Lotz, R: Voges, im April
  • „Étude For An Emergency“ von F. Holzinger, Mai

(tk)

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