Digitalisierung

Die unsichtbare Revolution

Die Digitalisierung eröffnet lokalen Biobauern neue Absatzperspektiven.
Die Digitalisierung eröffnet lokalen Biobauern neue Absatzperspektiven.(c) Getty Images (vgajic)
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Von der Versorgung mit regionalen Lebensmitteln über die Frachtbrief-Problematik im Lkw-Verkehr bis hin zur Automatisierung auf der Schiene: drei aktuelle Beispiele, wie sich logistische Abläufe verändern.

Und es gibt sie tatsächlich, die „Gewinner“ der Coronazeit. Während große Teile der Wirtschaft unter den Folgen der Krise leiden, erlebte das Wiener Start-up Markta mit einer Verzwanzigfachung der Bestellungen und 15.000 neuen Kunden in den letzten Monaten einen regelrechten Boom. Die Rede ist vom ersten digitalen Bauernmarkt Österreichs und einem Konzept, das ebenso simpel anmutet, wie es revolutionär sein könnte. „Uns geht es darum, die Produkte vom Land mit der Nachfrage in der Stadt zu verbinden. Wir haben dafür die digitale Plattform geschaffen“, erklärt Markta-Gründerin Theresa Imre.

Alternative zum Supermarkt

Das Funktionsprinzip basiert auf zwei Angeboten. Bei „Markta Einkauf“ kann der Konsument seinen Einkauf von Lebensmitteln verschiedener Kleinproduzenten selbst zusammenstellen, Markta sorgt für eine nachhaltige Verpackung unter Wahrung der Kühlkette und liefert entweder direkt vor die Haustüre (österreichweit) oder an eine Abholstelle. Auf der Online-Plattform „Markta Marktplatz“ bieten die regionalen Kleinbetriebe selbst ihre Produkte an, Markta generiert automatisch Adresslabel, Lieferschein und Rechnung und übernimmt die Abwicklung der Bezahlung.

Für Theresa Imre soll das die Zukunft der Lebensmittelversorgung sein, zum Vorteil von Konsumenten und regionalen Produzenten: „Heute bestimmen wenige Handelsketten, was täglich auf unseren Tellern landet. Die Vielfalt und Qualität unseres Essens leidet darunter und immer mehr Kleinproduzenten und Landwirte schließen ihre Betriebe. Wir können das ändern.“ Mit Markta baue man eine Alternative zum Supermarkt und dem globalen Handel von Lebensmitteln auf, um Menschen den Zugang zu hochwertigem Essen aus der Region zu ermöglichen. Was in Wien und Österreich funktioniert, soll in den nächsten fünf Jahren auch in anderen Teilen Europas ausgerollt werden. Investiert wird (über Crowdinvesting) vor allem in Lieferkanäle, um die Zeit zwischen Bestellung und Lieferung auf ein Minimum zu reduzieren. Gedacht ist auch an eine Ausweitung des Sortiments auf Drogeriemittel und Kleidung, solang es den von Markta streng geprüften Kriterien nachhaltigen Konsums entspricht.

Ende der Zettelwirtschaft

An einer anderen digitalen Revolution, nämlich dem Ende der Zettelwirtschaft in der grenzüberschreitenden Logistik, arbeitet die im Frühjahr 2019 gegründete Blockchain Initiative Logistik, BIL, ein Konsortium, dem sich Logistikunternehmen, Technologiepartner, Universitäten und die Bundesvereinigung Logistik Österreich (BVL) angeschlossen haben. „Wir entwickeln eine Blockchain-Anwendung, die nicht nur einen kurzfristigen Business-Nutzen hat, sondern auch das Plattformproblem der Zusammenarbeit von konkurrierenden Unternehmen löst“, erläutert BIL-Initiator Michael Schramm, zugleich Leiter des EY-Blockchain-Kompetenzzentrums im deutschsprachigen Raum.

In einer ersten Phase wurde im Frühjahr 2020 bei Branchengrößen wie Lkw Walter und Schenker der Pilot eines Blockchain-basierten digitalen Frachtbriefes implementiert und mit echten Transporten getestet. „Die dank Blockchain fälschungssichere Digitalisierung von Frachtbriefen wird künftig Prozesskosten senken, eine exakte Protokollierung von Änderungen und die zeitnahe Verfügbarkeit von Status und Unterschriften sicherstellen. Allein bei österreichischen Logistikern verspricht man sich mit der Branchenlösung jährlich rund 75 Millionen Prozesse und zwölf Millionen Blatt Papier einzusparen“, sagt Schramm. Der ineffizienten Zettelwirtschaft soll – in einem ersten Schritt vor allem im Lkw-Güterverkehr – der Garaus gemacht werden. Jetzt startet die nächste Phase. Im Mittelpunkt steht die Produktionsreife der Software. Dazu kommt der Aufbau einer kommerziellen Plattform, die als Cloud-Lösung für den gesamten Markt offen steht. „Besonders spannend ist unsere Initiative für Logistikfirmen, aber auch Industriebetriebe, die eine starke internationale Ausrichtung haben“, sagt Schramm. Als künftige Erweiterungen der BIL-Plattform sind neben dem Abbilden weiterer Dokumentarten die Ausweitung, beziehungsweise Anbindung, auf andere Modalitäten als den Straßenverkehr geplant, also auf Bahn, Schiff und Flug. „Auch die Integration von Versicherungen zur digitalen und möglichst automatisierten Transportschadensabwicklung denken wir an“, verrät der Experte.

Digital verkuppelt

Um die Automatisierung und Digitalisierung des Schienengüterverkehrs in Europa geht es wiederum bei einer Innovation, die von der ÖBB Rail Cargo Group, RCG, im Verbund mit sechs europäischen Güterverkehrsunternehmen vorangetrieben wird und die auf den Namen Digitale Automatische Kupplung (DAK) hört. Müssen Güterwaggons derzeit noch per Hand aneinander gekuppelt und kontrolliert werden, so soll dies in Zukunft mittels DAK automatisiert vonstatten gehen. Zugleich wird mit der integrierten Strom- und Datenleitung die Grundlage für Betriebsabläufe wie beispielsweise eine automatische Bremsprobe oder eine Zugintegritätsprüfung geschaffen.

Aktuell werden laut RCG Kupplungen von vier verschiedenen Herstellern getestet. Hat man sich auf ein Kupplungsdesign geeinigt, wird ein Demonstratorzug durch Europa fahren, um Betriebserfahrung zu sammeln. Bis 2030 sollen Züge in ganz Europa mit der neuen Technologie ausgestattet sein und dazu beitragen, dass der Schienengüterverkehr eine wesentliche Rolle im europäischen Mobilitätssystem der Zukunft spielt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2020)

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