Gemischte Nutzung

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Visualisierung des Projekts „Aspernstraße“ in Wien von 6B47, das auf Basis des Konzepts „Produktive Stadt“ geplant wurde.
Visualisierung des Projekts „Aspernstraße“ in Wien von 6B47, das auf Basis des Konzepts „Produktive Stadt“ geplant wurde. (c) 6B47
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Dem 2017 beschlossenen Konzept „Produktive Stadt“ soll endlich Leben eingehaucht werden. Dafür müssen aber noch einige Hürden aus dem Weg geräumt werden.

Die Durchmischung der Städte ist die Zukunft, alles andere Vergangenheit. In Wien hat das immer schon recht gut funktioniert, weshalb sich monofunktionelle Bürostandorte, wie es sie in anderen europäischen Großstädten gibt, hier in dieser Form kaum etabliert haben.
Derzeit kommt es allerdings auch in Wien zu einem Paradigmenwechsel von der Einzelbetrachtung des industriell-gewerblichen Sektors hin zur „Produktiven Stadt“. In den neuen Stadtgebieten soll es noch stärker zu einer Durchmischung der unterschiedlichen Nutzungsklassen kommen – am besten im Gebäude selbst. Wohnen und Gewerbe in einem Projekt.

Konzept gegen Monokulturen

Um dies möglich zu machen, wurde von der Stadt Wien in enger Zusammenarbeit mit Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung Wien im Jahr 2017 das Fachkonzept „Produktive Stadt“ erarbeitet. Diese Kategorie soll es Bauträgern möglich machen, bis zu drei Geschoße Gewerbeflächen zu errichten und darüber noch einmal fünf Geschoße Wohnflächen. Seitdem ist wenig passiert, jetzt aber soll die Idee zum Leben erweckt werden. Durchmischte Gebäude machen einen Standort nämlich attraktiver und zeichnen eine lebendige Stadt mit ihren Grätzeln aus. Ernst Kovacs, Geschäftsführer von KE Wohnimmobilien, sieht viele Möglichkeiten und Chancen in gemischten Baugebieten: „Man will ja keine reine Wohnstadt oder eine reine Bürostadt. Die Durchmischung macht die Urbanität aus.“ So neu ist die Idee aber gar nicht, wie Andrea Faast, Leiterin der Abteilung Standort und Infrastrukturpolitik der Wirtschaftskammer Wien, betont: „Wir kennen diese Durchmischung aus der Gründerzeit. Damals waren nicht in allen, aber in sehr vielen Baublöcken auch Gewerbebetriebe integriert.“ Mit den heutigen modernen technischen Möglichkeiten sollte daher eine Integration viel leichter möglich sein – „so kann auch Wohnen und Arbeiten im gemischten Stadtquartier Realität werden“, heißt es im Positionspapier der Stadt Wien.

Die Stolpersteine

„Die Widmungskategorie der ,Produktiven Stadt‘ ermöglicht eine gewerbliche Sockelzone mit Produktionsbetrieben, Light-Industrial- und Logistikflächen und darüber, am selben Bauplatz, einem neuen Wohnbau“, erläutert Silvia Wustinger-Renezeder, Mitglied in der Fachgruppe der Immobilientreuhänder in der Wiener Wirtschaftskammer (WKW). Die Herausforderung liege allerdings derzeit in der Wirtschaftlichkeit solcher Projekte, wie Kovacs erklärt. Genauer gesagt geht es für die Projektentwickler neben der Entlastung von städtebaulichen Verträgen und der Unterstützung bei gewerblichen Verfahren um die 2/3-zu-1/3-Regelung im gewerblichen Wohnbau. Nach aktueller Gesetzeslage sind Umwidmungen und Neuwidmungen von Grundstücken für den Wohnbau nur möglich, wenn zumindest zwei Drittel der Wohnflächen für den geförderten Wohnbau zur Verfügung gestellt werden. „Die Regelung war gut gemeint, denn der Gesetzgeber nahm an, dass so die Grundstückspreise gedämpft und Flächen für günstigen Wohnraum zur Verfügung gestellt werden können“, sagt Wustinger-Renezeder. Aber in der Praxis erweist sich das als Problem. „Die Flächen werden von den Developern auf Verdacht entwickelt“, weiß Klaus Wolfinger, Bauträgersprecher des ÖVI. Bei der Errichtung selbst sei nämlich oft noch nicht klar, ob entsprechende Gewerbeflächen dort überhaupt gebraucht werden. Zwar betraten Projektentwickler auch in den 1980er-Jahren Neuland, als sie zahlreiche neue Bürohäuser errichteten, doch damals war man sich eines entsprechenden Bedarfs sicher. Das sei heute so aber nicht mehr gegeben und daher das Risiko für die Projektentwickler hoch, meint Wolfinger und ergänzt: „Hut ab vor allen Unternehmen, die den Mut haben, ein entsprechendes Risiko einzugehen. Für die Projektentwickler ist die Errichtung eines gemischten Projektes nämlich eine echte Kraftanstrengung.“

2/3-Vorgabe auf dem Prüfstand

Da das Mietniveau für solche Gewerbeflächen nicht hoch genug sei, um die Kosten für die unteren drei Stockwerke zu tragen, „benötigt man die Wohnnutzung in den oberen Stockwerken zur Querfinanzierung“, sagt Wustinger-Renezeder. Und genau deshalb sei derzeit der 2/3-Anteil an geförderten Wohnungen der Stolperstein, beziehungsweise die Hürde für die Projektentwickler. „Die Situation berücksichtigend, ist die generelle Linie momentan zu hoch“, meint Wolfinger: „Diese müsste man aufweichen.“ Eine andere Aufteilung sei zwar von Projekt zu Projekt möglich, aber nach Wolfingers Ansicht „muss der Ausgangspunkt ein anderer sein als 2/3“. Für die Produktive Stadt müsse eine andere Lösung gefunden werden.

Wien wächst zwar nicht mehr in der Dimension, wie es noch vor wenigen Jahren angenommen wurde, aber die Dezentralisierung schreitet immer weiter voran. Außerhalb der Inneren Stadt bilden sich zunehmend neue Stadtzentren. Wustinger-Renezeder: „Der Mehrwert für die Stadt liegt darin, dass wir auch am Stadtrand wieder neue Stadtzentren – vor allem entlang der U-Bahnachsen – entwickeln können, die gemischt genutzt werden.“ Außerdem könne mit der Produktiven Stadt die Ressource Boden doppelt genutzt werden: einmal zum Wohnen und einmal für das Gewerbe.

Auf einen Blick

Das Konzept „Produktive Stadt“ wurde bereits 2017 erarbeitet und vom Gemeinderat beschlossen. Wien möchte sich damit als internationaler Wirtschaftsstandort etablieren, der neben dem Dienstleistungssektor auch dem produzierenden Bereich einen hohen Stellenwert beimisst. Das Konzept erfordert jedoch eine Querfinanzierung der Gewerbeflächen durch den Wohnbau, was unter anderem durch die 1/3-zu-2/3-Regelung beim gewerblichen Wohnbau erschwert wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2020)

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