Folgenreicher Konflikt

Äthiopien: Massaker mit Hunderten Toten

Bürgerkrieg verschärft sich: Amnesty dokumentiert Angriff auf Zivilisten.

Addis Abeba. Der Konflikt in der äthiopischen Region Tigré gerät außer Kontrolle: Nun meldet Amnesty International, dass in einem Ort möglicherweise Hunderte Menschen brutal getötet worden seien. Noch ist unklar, wer das mutmaßliche Massaker verübt hat. Die Leichen trügen klaffende Wunden, die offenbar von scharfen Waffen wie Messern und Macheten stammten, erklärte Amnesty.

Laut Augenzeugen soll der Überfall auf die Stadt Mai-Kadra von Verbänden verübt worden sein, die mit der Regierungspartei in Tigré, der Volksbefreiungsfront TPLF, verbündet sind. Äthiopiens Regierung hatte vor einer Woche eine Offensive gegen die Rebellengruppe begonnen.

UNO fordert Untersuchung

Die UNO fordert eine unabhängige Untersuchung sowie ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen. UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet warnt vor Massenflucht und hohen Opferzahlen. Rund 11.000 Menschen sind bereits aus der Region in den benachbarten Sudan geflohen. Zudem appellierte die UNO an die Regierung, sofort Zugang für Hilfe in Tigré zu ermöglichen, wo alle Kommunikationskanäle blockiert wurden.

Die TPLF war eine zentrale Kraft, die Äthiopien mehr als 25 Jahre lang mit harter Hand regierte. Doch als Friedensnobelpreisträger und Premier Abiy Ahmed 2018 an die Macht kam, entfernte er im Zuge von Reformen Funktionäre der alten Garde und gründete eine neue Regierung ohne Vertreter der TPLF, was zu Spannungen mit der Region führte. Die TPLF und viele Menschen in der autonomen Region Tigré fühlen sich von der Zentralregierung nicht vertreten.

Neuer Regierungschef

Für zusätzliche Spannungen dürfte die gestrige Wahl eines neuen Regierungschefs für Tigré durch das äthiopische Parlament führen: Der bisherige Staatsminister für Wissenschaft und Bildung, Mulu Nega Kahsay, soll eine neue Regionalregierung zusammenstellen. Zuvor hatten die Abgeordneten den bisherigen Regierungschef, Debretsion Gebremichael, abgesetzt. Gebremichael war im September gewählt worden und ist Chef der TPLF. Zudem stellte die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen 64 Mitglieder der TPLF wegen Hochverrats aus, wie der regierungsnahe Privatsender Fana BC berichtete. Die Zentralregierung begann mit dem Austausch der Regionalregierung. (red., ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2020)

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