Kino im Netz

Heimkino für den zweiten Lockdown

Aurum Film
  • Drucken

Netflix ist nicht alles: Streaming-Angebote gibt es derzeit auch von heimischen Kinos, Archiven und Festivals. Und das sogar großteils kostenlos.

Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Und nicht der guten Art, wie wir sie aus dem Kino kennen. Der bisherige Teil- und nunmehrige Voll-Lockdown hat den Herbst- und Winterplänen der heimischen Leinwandbranche erneut einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt heißt es zum zweiten Mal bangen und zuwarten. Oder ausweichen: Ins Internet, wo man gewohntes und geneigtes Publikum zumindest ein bisschen vertrösten (und mit etwas Glück sogar frisches begeistern) kann. „Die Presse“ bietet einen Überblick.

Filmarchiv Austria. Schon im März etablierte das Filmarchiv ein digitales „Heimkino“ als Kompensation für ausgefallene Retrospektiven. Es war zugleich ein Versuchsballon für längerfristige Bestrebungen, hiesiges Filmerbe online verfügbar zu machen. Nun wird das Experiment fortgeführt. Gleich drei Programme sind ins Netz gewandert und können auf der Filmarchiv-Website in laufend wechselnden Auszügen kostenfrei eingesehen werden. Eines davon widmet sich dem heimischen Autorenfilm der 1970er und 1980er. Streambar sind derzeit Manfred Kaufmanns Beziehungsdrama „Weht die Angst, so weht der Wind“, Antonis Lepeniotis' „Das Manifest“ (eine in Wien und Triest gedrehte Düsterparabel über Diktatur und Widerstand) und „Die glücklichen Minuten des Georg Hauser“ von Mansur Madavi – ein Durchschnittsbürokrat zerbricht darin an der Monotonie des Alltags. Ergänzt wird das Ganze durch Kurzfilme und Video-Einführungen. Wer etwas Entspannteres sucht, dem sei „Der Untergang des Alpenlandes“ empfohlen: Eine Musiksatire mit Kultkomponist Werner Pirchner, 1974 gedreht von Michael Hanekes späterem Stammkameramann Christian Berger. Ihm ist der zweite Heimkino-Kanal geweiht, Nummer drei feiert „25 Jahre Amour Fou“, mit Einzelfilmen aus dem Fundus der renommierten Produktionsfirma.

>> Das Filmarchiv-"Heimkino"

(c) AMOUR FOU Luxembourg, AMOUR FOU Vienna

Österreichisches Filmmuseum. Das Filmmuseum kann seine durchkreuzten Programme nicht einfach ins Internet stellen, das scheitert an der Rechtslage. Dafür lassen sich auf der Website schon seit Oktober Früchte des „Home Movie Day 2020“ sichten. Es handelt sich um drei Kompilationen heimischen Amateurfilmmaterials samt Kontextualisierung: So gewährt Hilde Bezenker Einblick ins Alltagsleben der 1960er, das sie und ihr Mann einst per Handkamera dokumentierten. Anderswo treibt die (homo-)erotische Privatpoesie des Tänzers und Theaterveteranen Franz Mulec betörende Blüten – und ausgewählte Arbeiten des Zelluloid-Handwerkers Rudolf Enter offenbaren selbigen als unbesungenen Pionier des Austro-Animationsfilms. Blaupausen für erbaulichen Lockdown-Zeitvertreib: Schließlich haben wir allesamt Taschenkameras an der Hand.

>> Der „Home Movie Day“ des Filmmuseums

European Cinema Night. Seit 2018 veranstaltet die Kulturinitiative Creative Europe Media im Verbund mit dem Kinonetzwerk Europa Cinemas ein PR-Event, bei dem zahlreiche europäische Programmkinos diverse Filme aus dem EU-Förderpool kostenfrei auf die Leinwand bringen – als Aushängeschilder einer staatenbundtragenden Laufbildkultur. Heuer kann die Sache naturgemäß nur im Internet stattfinden. Hierzulande nimmt das Wiener Burg Kino teil und zeigt am 20. November „Corpus Christi“ – ein Oscar-nominiertes polnisches Drama über einen Jungdelinquenten, der sich als Dorfpriester ausgibt. Filmstart ist um 20.15 Uhr, untertitelt auf Englisch, die Zuschauerzahl auf 200 Personen beschränkt. Details zum Ablauf finden sich auf der Homepage des Burg Kinos.

>> European Cinema Night im Burg Kino

Youki. Das herbstliche Filmfestivalfenster war schnell wieder zu. Jetzt müssen Veranstalter, die dazu bereit sind, neuerlich Distance-Festspiele abhalten. So auch das Welser Jugendmedienevent Youki. Eingedenk seiner jungen Zielgruppe ist der Sprung ins Digitale vielleicht etwas naheliegender als anderswo. Dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack: Präsenz ist im Festivalkontext schlicht unersetzlich. Sei's drum: Am Dienstag eröffnete das facettenreiche Youki-Programm (mit Fokus auf dem Filmschaffen 13- bis 27-Jähriger) im Netz. Auf der Website des Festivals lassen sich Wettbewerbsfilme und Rahmenprogramme zu festgesetzten Terminen kostenlos streamen. Zeitunabhängig (und gleichfalls gratis) stehen die Filme zudem auf der Videoplattform Kino VOD Club zur Verfügung – bis 22. November.

>> Das Youki-Festival im Kino VOD Club

Aram Baroian

Cinema Next. Ein Stückchen älter als die meisten Youki-Regisseure sind die Nachwuchsfilmer, auf die die Förderinitiative Cinema Next Schlaglichter wirft. Ihr kostenfreier Online-Kurzfilmreigen, im Frühling begonnen, läuft im zweiten Lockdown weiter. Derzeit im Kino VOD Club abrufbar: Martin Winters Familiendramolett „Freigang“.

>> Link zum Film „Freigang"

Mittelamerikanisches Filmfestival. 2019 ging das Festival für Mittelamerikanischen Film im Wiener Metro Kino über die Bühne. Heuer weicht es ins Internet aus und läuft ab heute bis 22. November. Zu sehen sind vor allem kurze und mittellange Arbeiten aus Ländern wie Mexiko, Nicaragua, Costa Rica und Argentinien – darunter auch wunderliche Musicals und künstlerische Kommentare zur Coronalage. Ein Pass für das Gesamtprogramm kostet 15 Euro, Einzelvorführungen zwei Euro, die Abspielzeiten sind flexibel. Weiterführende Infos finden sich auf der Festivalwebsite.

>> Mittelamerikanisches Filmfestival

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.