Ostafrika

Äthiopien-Krieg weitet sich aus: Tigray beschießt Nachbarregion

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Raketen sollen nahe der Hauptstadt der Region Amhara eingeschlagen sein, doch ist wegen der Entfernung zu Tigray zweifelhaft, wo diese abgefeuert wurden. Gegen WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus erhebt die Zentralregierung Vorwürfe, er unterstütze die Tigray-Armee.

In Äthiopien haben Streitkräfte der nördlichen Region Tigray im Konflikt mit der Zentralregierung die Hauptstadt der Nachbarregion Amhara im Süden beschossen. In Bahir Dar seien Raketen eingeschlagen, teilte die dortige Regionalregierung am Freitag mit. Opfer habe es nicht gegeben.

Augenzeugen berichteten von zwei Explosionen, mindestens eine Rakete sei in der Nähe des Flughafens von Bahir Dar eingeschlagen. Es gibt allerdings keine Angaben, welcher Art diese Rakete oder Raketen gewesen sein sollten. Das am Tanasee gelegene Bahir Dar ist mehr als 200 Kilometer von den nächstgelegenen Gebieten Tigrays entfernt, sodass es sich dabei schon um ballistische Kurzstreckenraketen gehandelt haben müsste, die indes nicht einmal die äthiopische Regierungsarmee besitzt.

Kampfflugzeuge wurden bisher auch nicht bei den Tigrayern gemeldet. Möglicherweise hatten in die Gegend eingesickerte Soldaten Tigrays Panzerabwehrraketen oder Artillerie-Raketen sehr kurzer Reichweite abgefeuert.

Milizen anderer Regionen machen mobil

Milizionäre aus der Region Amhara (vermutlich etwa 22 Millionen Einwohner) unterstützen seit einiger Zeit die von Äthiopiens Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Achmed entsandten Regierungstruppen im Kampf gegen die Tigray Volksbefreiungsfront (TPLF) in dem abtrünnigen Bundesstaat mit seinen etwa sechs Millionen Bewohnern. Tigray und Amhara liegen seit längerem im Streit über den Verlauf ihrer Grenze, schon vor Tagen hatte es Berichte über Angriffe tigrayischer Milizen in Amhara gegeben. Zudem hatte die TPLF mindestens ein Mal das benachbarte Eritrea mit Raketen beschossen, angeblich, weil es Äthiopiens Regierungsarmee unterstützt habe.

In den mittlerweile über zwei Wochen anhaltenden Kämpfen zwischen den Regierungstruppen, diesen loyalen Regionalkräften und Streitkräften der TPLF sind Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen getötet worden. Zehntausende sind auf der Flucht.

Ethiopian News Agency

Abiy wirft der in Tigray regierenden TPLF vor, einen Aufstand angezettelt zu haben. Diese Partei hält Abiy vor, er verfolge sie und vertreibe ihre Politiker von Regierungs- und Sicherheitsposten auf Bundesebene. Auslöser der Kämpfe war nach Darstellung der Regierung in Addis Abeba ein bewaffneter Angriff von TPLF-Kräften auf in Tigray stationierte Regierungstruppen.

Minderheit mit zu viel Macht

In dem Konflikt spielen ethnische Gruppen eine große Rolle. In Äthiopien, einer Föderation aus zehn ethnischen Bundesstaaten/Regionen und zwei Großstädten mit Sonderstatus, hatte die Minderheit der Tigrayer jahrzehntelang überproportional großen Einfluss auf Bundesebene, bis Abiy (44) vor zwei Jahren Ministerpräsident wurde. Er gehört der größten Volksgruppe - den Oromo - an, sein Vater war Moslem, seine Mutter Christin.

Äthiopiens Militär erhob unterdessen Vorwürfe gegen den in der abtrünnigen Provinz Tigray ethnisch verwurzelten Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO. Tedros Adhanom Ghebreyesus unterstütze die Rebellen in Tigray und versuche, sie mit Waffen zu versorgen, sagte Armeechef General Birhanu Jula am Donnerstag in einer im Fernsehen übertragenen Rede. Beweise für seine Anschuldigungen lieferte der General nicht, bezeichnete den WHO-Chef aber als "Kriminellen" und forderte dessen Rücktritt.

Von der WHO gab es zunächst keine Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen Tedros, der seit 2017 an der Spitze der WHO steht und zuvor in Äthiopien Gesundheits- und Außenminister war.

Wegen des Konflikts in Äthiopien sind nach Angaben von Unicef rund 2,3 Millionen Kinder dringend auf Hilfe angewiesen. Die Kinder in der Region Tigray seien wegen des "eingeschränkten Zugangs und des anhaltenden Kommunikationsstillstands" für humanitäre Hilfe unerreichbar, erklärte die Chefin der UN-Kinderhilfsorganisation, Henrietta Fore, am Freitag. In Flüchtlingslagern und Registrierungszentren im benachbarten Sudan seien weitere rund 12.000 teils unbegleitete Kinder in Gefahr.

Schallenberg warnt vor Flüchtlingsströmen

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) warnte bei einer Videokonferenz der EU-Außenminister am Donnerstag: „Der militärische Konflikt in Äthiopien ist brandgefährlich. Es braucht nur wenige Schritte bis zum Flächenbrand, wenn etwa die ethnischen Spannungen in anderen Regionen des Landes entzündet werden - mit unabsehbaren Folgen für die territoriale Integrität."

Es müsse unbedingt verhindert werden, dass der Konflikt auf das benachbarte Eritrea im Norden übergreift oder der Sudan durch massive Fluchtbewegungen destabilisiert werde, forderte Schallenberg. Die EU-Außenminister würden die Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union voll unterstützen. Aktuell stießen diese Bemühungen allerdings auf taube Ohren.

Der designierte US-Präsident, Joe Biden, mahnte über einen Vertrauten ein Ende der Kämpfe im Norden Äthiopiens und den Schutz der Zivilbevölkerung an. Die Konfliktparteien sollten die Kämpfe unmittelbar beilegen, den Zugang für humanitäre Hilfe ermöglichen und die Zivilbevölkerung schützen.

(ag./wg)

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