Wort der Woche

Besonderheiten

Ein physischer Besuch im Museum ist derzeit leider nicht möglich. Umso willkommener ist da ein in Buchform erschienener Streifzug durch Besonderheiten in Berliner Museen.

Die Entwicklung der Menschheit lässt sich an Dingen ablesen, meint der deutsche Kulturhistoriker Stefan Laube. „Dinge transportieren Botschaften zu Gebrauch und Funktion. Sie sind entweder auf den ersten Blick zu erkennen oder müssen erst entziffert werden“, schreibt er in seinem wunderbaren neuen Buch „Der Mensch und seine Dinge“ (Hanser, 511 Seiten, 32,90 Euro). Laube unternimmt darin einen Streifzug durch die Berliner Staatlichen Museen: Ausgewählt hat er 64 Objekte – gemäß einem durchdachten Raster auf Basis der vier Themen Natur, Alltagsleben, Gesellschaft und Zeit –, er bringt die Dinge zum Sprechen, erklärt die Hintergründe und erzählt die Geschichte(n) dahinter. In Zeiten, in denen ein physischer Museumsbesuch (geschweige denn eine Reise zu den Originalen) unmöglich ist, ist dies gleich doppelt willkommen.

Laube widmet sich dabei weniger den Prunkstücken der Sammlungen (wie etwa der Nofretete), sondern eher den zumeist übersehenen Dingen – etwa Faustkeilen, dem Nachbau einer antiken Äolsharfe, einer Sektflöte aus Goldrubinglas, einem iranischen Astrolabium, einem nordthailändischen Opiumritzmesser oder einer Gesichtsvase aus Troja. Anhand eines elfenbeinernen Olifants (Signalhorns) entführt er den Leser zu kaum bekannten Kontaktzonen verschiedener Kulturen; eine frühe Skulptur Pablo Picassos wird zum Ausgangspunkt für einen Exkurs über Drogenmissbrauch; ein fein geschnitztes Deckelgefäß illustriert die beinah magische Bedeutung von Salz; ein Kugelspiel aus Byzanz repräsentiert die allgegenwärtige Neigung von Menschen zur Spielsucht; und eine indonesische Schattenfigurensammlung symbolisiert den Hang des Menschen zu Fiktionalem.

Durch die Zusammenstellung unterschiedlicher Objekte aus verschiedensten Epochen und Regionen will Laube vor allem eines zeigen: „Menschliche Grundbedürfnisse, Grundkonstanten der Conditio humana wie Schlafen, Essen, Trinken, Kochen, Feiern, Lieben, Arbeiten und Spielen bringen bestimmte Objekte hervor, die je nach Entstehungszeit und Kultur variieren, sich aber dennoch ähneln und entsprechen.“ Ein lohnender Zugang!

Man staunt beim Schmökern in dem Buch jedenfalls, welch fantastische Dinge in Berliner Museen aufbewahrt werden. Und man ruft sich gleichzeitig in Erinnerung, dass auch die Wiener Museumslandschaft eine mindestens ebenso reiche Fundgrube ist. Nur gibt es hierzu keinen dermaßen kenntnisreichen Führer. Leider. ⫻


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2020)

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