Wort der Woche

Chicken Nuggets aus der Retorte

In Singapur wurde nun weltweit erstmals Retortenfleisch zugelassen. Ähnlich wie pflanzlicher Fleischersatz hat es seine Meriten. Doch unbedenklich sind beide nicht.

Man schrieb den 5. August 2013: Unter gewaltigem medialen Getöse wurde das erste Stück Fleisch aus tierischen Zellen, die im Labor gezüchtet worden waren, öffentlich verzehrt. Die Verkoster waren durchaus angetan. Und viele Tier- und Umweltschützer jubelten – endlich rückte Fleischgenuss ohne Tierleid und Umweltbelastung in greifbare Nähe. Doch dann wurde es wieder still um das Retortenfleisch, so einfach war die Sache offenbar nicht. Dafür trat pflanzlicher Fleischersatz einen Siegeszug an: Aus Soja-, Weizen-, Erbsen- oder Pilzproteinen erzeugte fleischartige Nahrungsmittel füllen heute in Supermärkten ganze Kühlregale.

Kaum mediale Wellen schlug indes, was sich nun am 2. Dezember ereignete: Singapur genehmigte als weltweit erstes Land den Verkauf von Fleisch aus der Retorte – konkret Chicken Nuggets. Die Behörden kamen nach zweijähriger Prüfung zu dem Schluss, dass das Produkt von Eat Just allen Anforderungen genüge. Ob es von Konsumenten angenommen und ein Erfolg wird, wird sich zeigen.

Faktum ist jedenfalls, dass nun zwei Arten von Fleischersatz in der Praxis angekommen sind. In beinahe perfektem Timing veröffentlichte diese Woche eine Forschergruppe um David Kaplan (Tufts University) einen systematischen Vergleich der beiden Fleischalternativen – in der Fachsprache „plant-based meat“ (PBM) und „cell-based meat“ (CBM) genannt (Nature Communications, 8. 12.).

Beim Lesen der Analyse verflüchtigt sich recht rasch die Verheißung, dass PBM und CBM im Vergleich zu echtem Fleisch um so vieles unbedenklicher seien. Zwar sind Flächenverbrauch, Umwelteinfluss, Emissionen und Tierleid tatsächlich geringer. Doch es gibt auch Schattenseiten. Etwa, dass der Energieverbrauch bei der Produktion ziemlich hoch ist. Bei pflanzlichen Produkten (PBM) sind umso mehr Zusatzstoffe nötig, je fleisch- oder wurstähnlicher sie sein sollen. Lebensmittel aus tierischen Zellen (CBM) brauchen beim Heranwachsen in der Zellkultur Wachstumsfaktoren, die derzeit aus fötalem Kälberserum stammen (man will lieber nicht wissen, wie dieses gewonnen wird). Es laufen zwar Versuche, das Serum durch pflanzliche Nährmedien zu ersetzen, aber dann hat man das Problem, dass die Wachstumsfaktoren nur per Gentechnik hergestellt werden können.

Fazit: Fleischersatz hat seine Meriten und bietet Chancen für ein umweltverträglicheres und ethischeres Nahrungsregime. Von „natürlichen“ Lebensmitteln kann aber keine Rede sein. ⫻

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2020)

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