Grüne Energie

Wie grün ist Atomenergie wirklich?

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Während die Atomenergie in Österreich kaum mehr Thema ist, betreiben Länder wie Frankreich und Schweden seit Jahren Atomkraftwerke und konnten durch deren Ausbau ihren CO2-Ausstoß deutlich senken. Könnte Atomenergie im Kampf gegen die Klimakrise also helfen? Kann sie gar als grüne Energie eingestuft werden?

Von Pia Lenz

1978 entschieden sich die Österreicher mit knapper Mehrheit gegen die Inbetriebnahme des fertig gebauten AKWs Zwentendorf. Seither ist Kernenergie in der breiten Öffentlichkeit kaum mehr Thema. Doch mit der Debatte rund um die Erreichung der Klimaziele ploppt auch die Kernenergie wieder auf und entfacht die seit jeher umstrittene Diskussion rund um deren Klimafreundlichkeit neu. Denn während einige Wissenschaftler und Politiker stark gegen sie plädieren, wird sie von anderen als klimafreundliche Energielösung gepriesen.

Wie zuletzt auch von Hannes Androsch, Industrieller und Ex-Finanzminister (SPÖ), Ende 2020 in seinem Buch „Was jetzt zu tun ist“. So schreibt er: „Beim Übergang zu alternativen Energien kann man auf Atomenergie nicht verzichten.“ Im Doppelinterview mit dem Magazin „Trend“ sieht anschließend auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger Kern- statt fossiler Energie nicht als abwegig an. Es hagelt harsche Kritik von Grünen-Klubchefin Sigi Maurer und ÖVP-Energiesprecherin Tanja Graf. Auf Anfrage der „Presse“  sagt Androsch daraufhin, dass er zwar deutliche Gefahren in der Atomenergie sehe, doch man müsse diese in Relation zur Gefahr des Klimawandels sehen.

Auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die sich eigentlich als Gegnerin der Atomkraft bezeichnet, äußert sich im Kampf gegen die Klimakrise zu dieser Form der Energie vorsichtig positiv. So schrieb sie im März 2019 auf Facebook: „Laut dem Weltklimarat kann sie ein kleiner Teil einer sehr großen neuen kohlenstofffreien Energielösung sein.“

Nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ist die Atomenergie mancherorts aufgrund des Klimaarguments beliebt, beispielsweise in Finnland. Das nordische Land baut gerade an einem Kernkraftwerk, das in Zukunft zu den leistungsstärksten der Welt gehören soll. Grund dafür ist laut den Finnen neben der Unabhängigkeit des Landes in der Energieversorgung auch der Klimaschutz. Denn ohne Atomenergie sei das Klimaziel nicht erreichbar, argumentiert sogar die grüne Partei des Landes. Doch inwiefern stimmen diese Argumente? Und warum spricht sich Österreich seit jeher dann so vehement gegen Atomenergie aus?

Wenig CO2-Ausstoß bei Atom-Stromgewinnung

Laut dem Bericht des Weltklimarates (IPCC) 2018 (Kapitel Energiesysteme) könnte Kernenergie im Kampf gegen den Klimawandel eine entscheidende Rolle spielen. So heißt es im Bericht, dass es immer noch möglich sei, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen: „Es gibt mehrere Optionen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen im Energieversorgungssektor. Dazu zählt unter anderem die Umstellung der Energieversorgung von fossilen Brennstoffen auf Quellen mit geringen Treibhausgasemissionen wie erneuerbare Energien und Kernenergie.“ Der IPCC spricht zudem davon, dass bei der Stromgewinnung aus Kernenergie 60-mal geringere CO2-Emissionen entstehen als bei Kohlekraftwerken und die Kernenergie CO2-technisch sogar die Solarenergie schlage.

Schlussfolgernd kommen Länder mit hohem Anteil an Atomstrom wie Schweden oder Frankreich vor allem daher den Klimazielen deutlich näher als Österreich.

Ein genauer Blick lohnt sich

Definition grüne Energie

Um zu beleuchten, inwiefern diese Aussagen zum CO2-Ausstoß stimmen, muss laut dem Umweltministerium, Global 2000 und der  österreichischen Energieagentur aber tiefer gegraben werden. „Im IPCC werden einzelne Bereiche behandelt, andere einfach ausgelassen“, sagt Patricia Lorenz, Atomsprecherin bei Global 2000. Denn wie sich zeige, entsteht zwar im direkten Betrieb der Atomkraftwerke tatsächlich weniger CO2 als bei anderen Energieträgern, auch beispielsweise bei Fotovoltaik, aber die Vorketten, wie der Uranbergabbau, werden in dieser Rechnung außen vorgelassen. „Bei diesem Vorgang muss viel Masse bewegt werden, um Uranerz zu gewinnen, zudem muss es anschließend noch angereichert werden, das treibt die Emissionen stark in die Höhe“, sagt Günter Pauritsch von der Österreichischen Energieagentur. Zusätzlich weist das Umweltministerium auf die Endlichkeit der Ressource Uran hin, denn je weniger Uran im Gestein zu finden ist, desto energieintensiver ist der Prozess des Abbaus. Was macht eine grüne Energie aus?

• kein Ausstoß von CO2 (Emissionsfrei oder Emission wird kompensiert) -> direkte Klimaauswirkung
• keine negativen Auswirkungen auf Flora, Fauna und Mensch -> Umweltauswirkung (indirekt Klimaauswirkung)
• keine Begrenzung der Ressourcen -> Umweltauswirkung (indirekt Klimaauswirkung)
• keine Einschränkung des Energievorrats künftiger Generationen

Zu grünen Energien zählen:

• Solarenergie (Photovoltaik) – Umwandlung von Sonnenenergie
• Wasserkraft – Umwandlung von bewegten Gewässern
• Windkraft - Umwandlung von Bewegungsenergie des Windes
• Geothermie – Umwandlung von Erdwärme
• Bioenergie – Umwandlung von organischen Stoffen (z.B. Holz)

Neben den Klimaauswirkungen müssen für einen grünen Energiecheck aber auch die Umweltauswirkungen betrachtet werden. „Allein die Reaktorunfälle in Tschernobyl und Fukushima zeigen, welche fatalen Umweltauswirkungen Kernenergie haben kann“, gibt Günter Pauritsch zu bedenken. Beide Male wurden langlebige radioaktive Elemente freigesetzt, die sowohl zu genetischen Mutationen in der Tier- und Pflanzenwelt als auch zu Tausenden Krebserkrankungen und Todesfällen bei Menschen führten. Zudem sei in Sachen Umwelt auch die Frage der Lagerung des Atommülls seit rund 60 Jahren weitgehend ungeklärt. Umfassende Studien sucht man dazu vergeblich.

Olkiluoto als Vorbild?

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) sieht das anders und verweist auf Anfrage der „Presse“ auf das Endlager Onkalo in Finnland, das gerade fertiggestellt wird. Einen halben Kilometer unter der Erdoberfläche entsteht auf der finnischen Insel Olkiluoto derzeit das weltweit erste Endlager für hoch radioaktive Brennstäbe von Atomkraftwerken. 2025 sollen hier die ersten Fässer mit dem Problemmüll eingelagert werden. Dabei ist das Endlager laut Erbauern so konzipiert, dass der Müll rund 100.000 Jahre gelagert werden kann. Ausgehend von Simulationen soll auch im Fall eines Erdbebens der Anteil an Radioaktivität, der aus der Tiefe an die Oberfläche tritt, nur geringfügig sein.

Atomsprecherin Lorenz von Global 2000 kann das nicht überzeugen: „Da ist noch vieles total unklar. Es gibt derzeit zwischen 130 und 140 AKWs in Europa und dafür einfach keine umfassende Lösung. Beispielsweise hofft man, Fässer aus Materialen verwenden zu können, die besondere Eigenschaften aufweisen, die es aber noch nicht gibt. So sollen sie wärmeableitend sein, gleichzeitig aber komplett dicht. Zudem entsteht bei der Endlagerung eine gefährliche Zersetzung des hoch radioaktiven Mülls.“

Atomenergie nur ein kleiner Player

Generell dürfe es laut Lorenz zur Diskussion um die Nutzung von Atomenergie derzeit aber einfach nicht mehr kommen, denn die Rolle der Atomkraft sei in der Energieversorgung sehr niedrig. Atomenergie als Klimaretter sei allein deshalb also Unsinn. Tatsächlich – werden die Daten der weltweiten Energienutzung genauer betrachtet, zeigt sich, dass der Beitrag der Kernenergie zur Stromversorgung zwar bei rund elf Prozent liegt, der Großteil der Energieversorgung jedoch nicht die Stromversorgung darstellt. Insgesamt ist Atomkraft mit rund vier Prozent in Wirklichkeit nur ein Mini-Player auf dem weltweiten Energiemarkt. „Atomenergie kann, wenn man an die Zukunft denkt, also keinen signifikanten Beitrag leisten“, sagt Pauritsch.

Wieso greifen so viele Länder zur Atomenergie?

Global 2000 und der Energieagentur zufolge ist das vor allem eine politische und machttechnische Frage der großen Länder. So sei auch der IPCC-Bericht durchaus von diesen Ländern gepusht, erklärt Günter Pauritsch von der Energieagentur: „Die CO2-Emissionen sind das letzte denkbare Argument. Alles andere hat sich als unwahr herausgestellt.“

Die IAEA vertritt hier eine andere Meinung und sieht Kernenergie als Teil der Lösung: „Die Kernkraft bietet eine stetige, zuverlässige Stromversorgung und liefert kontinuierlich CO2-armen Strom, der die schwankende Energieeinspeisung von erneuerbarer Elektrizität aus Wind oder Sonne unterstützen kann.“ Laut Umweltministerium müsste die Kernenergie dann aber dauerhaft gewonnen werden, denn eine wiederholte Steigerung und Drosselung der Leistung sei bei Kernkraftwerken technisch nicht möglich.

Hohe Kosten, langer Bau

Wer sich zu den derzeit entstehenden Atomkraftwerken in Europa einliest, merkt zudem schnell, dass die Bauzeit der Kraftwerke meist deutlich länger ausfällt als geplant und auch die Kosten deutlich höher zu Buche schlagen. Ein aktuelles Beispiel dafür: Hinkley Point C in Großbritannien. Das Kraftwerk hätte bereits 2018 ans Netz gehen sollen, wird aber wohl frühestens 2025 Strom liefern können. Die Kosten sind zudem von ursprünglich 4,7 Milliarden Euro auf 26,6 Milliarden Euro gestiegen.

Auch die Inbetriebnahme des finnischen Kraftwerks Olkiluoto dauert aufgrund technischer Probleme deutlich länger als angenommen. Eigentlich hätte es 2009 fertig sein sollen, derzeit geht man jedoch davon aus, es erst im Februar 2022 zur kommerziellen Stromerzeugung nutzen zu können. Zudem würden die Kosten auch hier geradezu explodieren, sagt Pauritsch. „Kernkraft braucht für die Errichtung im Durchschnitt doppelt so lang wie gedacht und kostet meist doppelt so viel wie berechnet“, stellt er eine Faustformel auf. Somit sei die Kernenergie als Klimaschutzmaßnahme schlicht zu langsam und zu teuer, heißt es auch in einer Stellungnahme des Umweltministeriums.

Kein leichtes Spiel

Doch auch wenn der Großteil der österreichischen Politik und Experten gegen die Kernenergie plädiert, wird sie hierzulande zu rund 14 Prozent aus Stromimporten genutzt. Das stört auch Androsch: „Scheinheilig importieren wir seit Jahren und tragen dabei die Risken ebenso mit. Wir sind Schildbürger, wenn es um die Energiepolitik geht. Anstatt sich immer hinter Ankündigungen zu verstecken, sollten wir alles Notwendige jetzt tun, um unseren Planeten zu retten.“ Ein Schritt in diese Richtung will die Bundesregierung mit der „Mission2030“ gehen. So soll 2030 in Österreich mindestens gleich viel Strom aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt werden wie insgesamt verbraucht wird, heißt es in einem Statement aus dem Umweltministerium. Um die dann benötigten Energiemassen aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, muss jedoch der Anteil von Wind und Fotovoltaik von heute zwölf Prozent auf ganze 42 Prozent gesteigert werden.

Während dieses Prozesses also auch in Österreich auf Kernenergie statt Kohle, Öl und Gas setzen? Wohl kaum, denn auch wenn für manche Länder wie Finnland vor allem der niedrige direkte CO2-Ausstoß für die Energie spricht, zeigt sich in der Diskussion mit den österreichischen Experten, dass wegen der Umweltauswirkungen, wie der Risiken durch Unfälle, der Endlagerung sowie der Endlichkeit der Ressource Uran in Österreich genügend Punkte gegen eine Klassifizierung als „grüne“ Investition sprechen, ganz abgesehen von Kosten und Dauer der Erbauung von AKWs. Um in Zukunft ganz ohne sie auszukommen, muss laut den Experten jedoch auch der Energieverbrauch jedes Einzelnen sinken und die Energieeffizienz deutlich steigen. Nur so kann eine „grüne“ Zukunft mit erneuerbaren Energien auch bei Dunkelflauten, also in Zeiten ohne Wind und Sonne, funktionieren.

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