Oper

Massenets "Thaïs" ohne Keuschheitskitsch

Werner Kmetitsch
  • Drucken

Peter Konwitschny inszeniert im Theater an der Wien Jules Massenets „Thaïs“: eine ewig schiefe Geschichte von Anziehung und Abstoßung zwischen Mönch und Kurtisane.

Die Älteren können sich noch an den „Pornojäger“ Martin Humer erinnern: Dessen Lebensinhalt bestand in der empörten Durchsicht pornografischen Materials, dem Erstatten entsprechender Anzeigen sowie natürlich Beten. Und alle schüttelten grinsend den Kopf und wussten, so viel Entrüstung über „Schmutz und Schund“ gibt es nicht ohne geheimen Genuss. Der Athanaël in „Thaïs“ beginnt als so ein Humer-Typ – aber im großen Ganzen war Jules Massenet schon viel weiter mit seiner 1894 in Paris uraufgeführten Oper: Die Handlung nach dem historischen Roman des späteren Literaturnobelpreisträgers Anatole France zeigt nämlich die tröstliche Tatsache, dass jeder Sünder eine Zukunft hat und im Gegenzug jeder Heilige eine Vergangenheit. Darüber hinaus enthüllt Massenet mit seiner sensualistischen, mit Exotismen kokettierenden Partitur, die herumtänzelt zwischen Grand Opéra, Wagner-Reverenzen und Impressionismus-Ahnungen, dass ja doch alles auf dieselbe menschliche Wurzel zurückgeht, die Lust ebenso wie die Keuschheit.

Das und noch mehr spielt mit hinein, wenn ein Regisseur wie Peter Konwitschny den althergebrachten männlichen Blick auf die Frau als Heilige oder Hure aufbrechen und eine heutige Sicht der Geschichte der alexandrinischen Nobelkurtisane des vierten Jahrhunderts werfen will. Der eifernde Mönch Athanaël kann die ihr Alter spürende Thaïs zu einem Leben in Askese bekehren, nur um dann selbst seine so lang unterdrückte fleischliche Liebe zu ihr ausbrechen zu fühlen – im Original ohne Erfolg: Hat er auf dem Weg durch die Wüste ins Kloster bloß die blutenden Füße der Erschöpften geküsst, findet er sie am Schluss, wenn er endlich wirklich alles von ihr will, nur noch als Sterbende vor.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.