Dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses im Bundestag Krichbaum fehlt derzeit eine starke Persönlichkeit auf dem wirtschaftsliberalen Flügel. Die CDU muss das konservative Spektrum besser abdecken.
WIEN (c.u.). Der Fall Sarrazin schüttelt Deutschland durch. „Es gibt da ein politisches Vakuum“, sagte der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Deutschen Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), bei einem Besuch in Wien. Die Kluft zwischen Gesellschaft und Politik habe sich vergrößert. Er verwies auf eine Umfrage, wonach sich 18 Prozent der Deutschen vorstellen könnten, eine neue Partei mit Thilo Sarrazin an der Spitze zu wählen.
Krichbaum zweifelt jedoch, dass sich eine rechtspopulistische Partei in Deutschland lange halten könne. Dazu müsste sie auch in Ortsverbänden stark verwurzelt sein. Bisherige Versuche der Republikaner etwa oder der Schill-Partei seien gescheitert.
„Sarrazin brach Vertrag“
In der CDU fehlten derzeit starke Persönlichkeiten auf dem wirtschaftsliberalen und dem konservativen Flügel, meinte Krichbaum und ließ dabei Sympathien für ein Comeback des ehemaligen Fraktionschef der Union, Friedrich Merz, durchblicken.
Tatsächlich dürfte die Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Thesen Thilo Sarrazins über die mangelnde Integrations- und Bildungsbereitschaft muslimischer Migranten unterstützen. Krichbaum lehnt die Argumentation des ehemaligen Berliner SPD-Finanzsenators trotzdem ab. Die Art und Weise, wie Sarrazin das lange vernachlässigte Integrationsthema aufgreife, spalte das Land. „Sarrazin wärmt sich an dem heißen Eisen, das er anpackt.“
Krichbaum tritt auch dafür ein, dass Bundespräsident Wulff zustimmt, Sarrazin als Vorstand der Deutschen Bundesbank zu entlassen. Sarrazin habe sich vertraglich verpflichtet, politische Mäßigung und Zurückhaltung zu üben. Diesen Vertrag habe Sarrazin gebrochen, sagte der gelernte Jurist Krichbaum.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2010)