Corona-Pandemie

Experten sehen von der Leyen angeschlagen - aber nicht abgeschrieben

 EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen via REUTERS
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Sowohl bei der Corona-Impfstoffbeschaffung als auch bei der Verordnung über Exportkontrolle seien Fehler passiert, das führe für EU-Kommissionschefin zu einem Vertrauensverlust.

Plötzlich stehe VDL für "very damaged leader/schwer beschädigte Führungsfigur" schrieb das Magazin "Politico" unlängst über EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre Initialen. Analysten sehen sie geschwächt, aber nicht abgeschrieben. "Sowohl bei der Impfstoffbeschaffung als auch bei der Verordnung über Exportkontrolle sind Fehler passiert", sagte der EU-Experte Stefan Lehne vom Brüsseler Thinktank Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden (CEIP) der APA.

Janis Emmanouilidis vom Brüsseler "European Policy Centre" (EPC) sagt zur Situation der EU-Kommissionschefin: "Ihr Standing ist beschädigt. Es ist aber wiederherstellbar. Es gibt einen Vertrauensverlust. Alle, die Brüssel-kritisch sind, nutzen dies nun aus." Für die Kommissionspräsidentin werde die Lage nicht einfacher. "Sie hatte im zweiten Halbjahr (2020 in der deutschen Ratspräsidentschaft) eine starke Unterstützung durch Kanzlerin (Angela) Merkel. Der Einfluss von Merkel schwindet, diese Unterstützung wird dieses Jahr graduell schwinden."

Beide Experten kritisierten vor allem, dass die EU-Kommission zur Kontrolle von Vakzinen einen Notfallmechanismus im Nordirland-Protokolls aktivieren wollte, nach Protesten aus Irland und Großbritannien dies wieder zurückzog. "Die Drohung mit Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland war ein ganz schlimmer Fehler, da eigentlich allen Verantwortlichen die Sensibilität der Frage für den irischen Friedensprozess bewusst hätte sein müssen. Der Fehler wurde rasch korrigiert, hat aber sicher die Reputation der Kommissionspräsidentin beschädigt", so Lehne.

"Das waren Fehler, die nicht hätten geschehen sollen. Darüber hinaus entstand auch der Eindruck, dass man Verantwortung anderen zuschiebt. Auch wurde die Entscheidung im kleinsten Kreis getroffen und etwa die Barnier-Taskforce nicht involviert", kritisierte auch Emmanouilidis.

Sechs Gründe für Verzögerung

Dass die EU bisher nicht ausreichend Corona-Impfstoff geliefert bekommt, ist hingegen nach Ansicht des EPC-Experten auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen, für die nicht nur die EU-Kommission, sondern auch die Mitgliedstaaten verantwortlich seien. Emmanouilidis nennt zumindest sechs Gründe für die Verzögerungen in der EU: "1. Die Koordination zwischen den EU-27 benötigt mehr Zeit. 2. Man war in den Verhandlungen sehr preissensibel und wollte den Aufbau von Produktionskapazitäten nicht ausreichend finanziell unterstützen. 3. Safety First war zwar der richtige Ansatz, hat aber auch dazu geführt, dass die Genehmigung der Impfstoffe etwas länger gedauert hat als in anderen Ländern. 4. Die EU hat der Frage der Haftungen viel Bedeutung zugemessen, was etwa Israel und die USA nicht im diesem Ausmaß gemacht haben. 5. Der Schutz persönlicher Daten. 6. Eine Diskussion unter den Mitgliedstaaten, welche Impfstoffe beschafft werden sollen."

"Ein Teil der Verzögerungen ist strukturell bedingt. Die Kommission hat nie ein so großes medizinisches Beschaffungsprogramm gemanagt. Die Mitgliedstaaten mussten intensiv eingebunden werden, da die Gesundheitskompetenzen bei ihnen liegen, was ebenfalls Zeit gekostet hat", so auch Lehne.

Emmanouilidis sieht den gemeinsamen Erwerb von Impfstoffen durch die EU trotz allem als den richtigen Weg. Die Alternative, dass jeder EU-Staat sich selbst Impfstoff beschaffen würde, wäre nicht besser, sagt der Polit-Analyst. Dies hätte zu Ungleichgewichten in der EU geführt, nicht nur zu mangelnder Solidarität, sondern auch zu möglichen Spillover-Effekten in anderen Bereichen." Die EU-Kommission werde auch noch bei der Umsetzung des Corona-Wiederaufbaufonds "Next Generation EU" gebraucht, erinnerte Emmanouilidis etwa.

Wettkampf wäre problematisch

Ein Wettkampf zwischen den Mitgliedstaaten um die Impfstoffe wäre problematisch, meint auch Lehne, der an die Spannungen um die Versorgung mit Schutzausrüstungen im März vergangenen Jahres erinnert. "Wenn die Produktion in den nächsten Wochen entsprechend hochgefahren wird, kann das gemeinsame Impfprogramm noch immer zum Erfolg werden", ist Lehne überzeugt. Auch Emmanoulidis betont: "Wenn in ein bis drei Monaten genug Impfstoff zur Verfügung steht und wir die Virus-Mutationen in Griff kriegen, kann das EU-Impfstoffprogramm noch immer zum Erfolg führen."

Dass Regierungschefs wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nunmehr Druck auf die EU für weitere Zulassungen machen würden, sei "völlig nachvollziehbar", sagte Emmanouilidis. "Alle Akteure stehen unter Druck. Das ist nicht das Problem. Man muss den Druck positiv kanalisieren." Auch Lehne findet es "selbstverständlich, dass die Regierungen interessiert sind, die gegenwärtige Mangelsituation raschestmöglich zu überwinden. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die Kommission in dieser Frage nicht eigeninitiativ sondern im Auftrag der 27 gehandelt hat und die Mitgliedstaaten an allen Entscheidungen beteiligt waren."

(APA)

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