Replik

Polnische Großmannssucht

Polens Präsident Andrzej Duda
Polens Präsident Andrzej DudaREUTERS
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Man kann den mitteleuropäischen Raum politisch, kulturhistorisch oder naturräumlich definieren. So wie Andrzej Duda ihn definiert, kann man es nicht.

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Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda hat kürzlich an dieser Stelle seine Überlegungen zu einer künftigen mitteleuropäischen Gemeinschaft dargelegt. Diesem Mitteleuropa-Konzept muss aufs Schärfste widersprochen werden.

Dudas Mitteleuropabegriff entspricht nämlich in keiner Weise den allgemein gültigen und gängigen Defintionen. Man kann den mitteleuropäischen Raum politisch, kulturhistorisch oder auch naturräumlich definieren. So wie Andrzej Duda ihn definiert, kann man es aber jedenfalls nicht. Für ihn ist Mitteleuropa nämlich alles zwischen Deutschland und Russland. Mit diesem netten Taschenspielertrick schafft er eine fiktive Region im Herzen Europas bar jeder Vernunft. Folgt man seiner Argumentation, dass es in diesem vagen Raum zwischen Ostsee, Adria und Schwarzen Meer schon bisher erfolgreiche Kooperationen gab, wird schnell klar, worum es hier wirklich geht: ein konstruierter Raum für eine Regionalmacht Polen. Denn eines haben die angeführte Projekte Visegrád-Gruppe, Bukarester Neun und Drei-Meere-Initiative überraschenderweise alle gemeinsam: Polen. Und spätestens mit der Ausgrenzung Deutschlands wird offensichtlich, worauf man hier in Wahrheit abzielt: die bestehenden Strukturen der EU zu schwächen und zu untergraben. Mit der Schaffung einer mitteleuropäischen Gemeinschaft unter polnischer Führung wäre wohl den lang gehegten historischen Träumereien und Begehrlichkeiten Polens Genüge getan, gleichzeitig wäre damit aber auch der Grundstein für eine Spaltung der EU gelegt. Dem muss man entschieden entgegentreten.

Makroregionale Strategie

Für die angesprochenen Themen und Politiken, die in diesem konstruierten Mitteleuropa anstehen und mit dieser Gemeinschaft abgedeckt werden sollen, hat die EU bereits seit über einem Jahrzehnt ein etabliertes und funktionierendes Instrument, nämlich jenes der „makroregionale Strategie“. Eine solche Strategie bezieht sich auf eine Makroregion, welche von der EU allgemein als Gebiet definiert wird, „das mehrere Verwaltungsregionen umfasst, aber genügend gemeinsame Themen aufweist, um ein einheitliches strategisches Konzept zu rechtfertigen“. In diesem Sinn zeichnet sich eine Makroregion durch gemeinsame Themen, Problemlagen und Herausforderungen aus, welche die Lösungskompetenz eines einzelnen Staates oder einer Region übersteigen und staatenübergreifende Kooperation erfordern.

Aktuell gibt es eine Ostseestrategie, eine Donaustrategie, eine Strategie für die Adria und das Ionische Meer sowie Alpenraumstrategie. All diese bestehenden makroregionalen Strategien liegen in dem von Duda beanspruchten geografischen Raum und behandeln längst schon all die Anliegen, von denen Duda behauptet, sie bräuchten eine neue Kooperationsebene.

Aus guten Grund gibt es jedoch keine "EU-Mitteleuropa-Strategie" - weil es diesen Raum in der vom polnischen Staatspräsidenten dargestellten Form einfach nicht gibt. Es hat daher bisher auch keinerlei Initiative gegeben, eine solche Makroregion „Mitteleuropa“ vorzuschlagen. Auch nicht von polnischer Seite.

Politisches Sektierertum

Was Andrzej Duda jetzt stattdessen außerhalb der bestehenden EU-Strukturen zu etablieren versucht, fällt in die Kategorie politisches Sektierertum. Die ungeliebte EU soll von Innen heraus geschwächt und eine weitere Möglichkeit fürs politische „Forum Shopping“ geschaffen werden. Die dadurch nebeneinander entstehenden Zuständigkeiten könnten so systematisch zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden. Und das alles offensichtlich mit einem einzigen Ziel: Make Poland great again!

Der Autor: Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

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