Mit Vincent Kriechmayr hat die Skination wieder einen Champion in der Königsdisziplin.
Er freue sich über jede Gratulation, egal wer sie ausspricht, betonte Vincent Kriechmayr. Aber von Marcel Hirscher hat auch Österreichs derzeit erfolgreichster Skifahrer schon lang nichts mehr gehört. Über einen kleinen Umweg – Kriechmayr lässt sein Handy an Renntagen grundsätzlich im Hotelzimmer liegen – war der pensionierte Superstar nun einer der ersten Gratulanten des frisch gebackenen Doppel-Weltmeisters von Cortina.
Kriechmayr gewann am Sonntag nach dem Super-G auch die WM-Abfahrt. Gold in beiden Speeddisziplinen bei ein und derselben Weltmeisterschaft ist ein Kunststück, das im ÖSV-Lager bisher nur Hermann Maier (1999 in Vail) und in der restlichen Skiwelt einzig Bode Miller (2005 in Bormio) gelungen war. Der 29-jährige Mühlviertler hat sich damit in die allerhöchste Liga des alpinen Skirennsports katapultiert.
„Natürlich ist es schön, so etwas erreicht zu haben. Aber mit dem Hermann und mit Bode Miller möchte ich mich nicht vergleichen. Die sind Olympiasieger, Gesamtweltcupsieger und weiß der Herrgott was noch.“
Der Herrgott schiebt an
Dass bei einer Ski-WM nach der Königsdisziplin die österreichische Hymne ertönt, war zuletzt auch alles andere als selbstverständlich. Gefühlt 125 Mal sei er schon auf dieses fehlende Abfahrtsgold seit 2003 und Michael Walchhofer in St. Moritz angesprochen worden, erklärte Herrencheftrainer Andreas Puelacher. Nach dem Kriechmayr-Coup, dem insgesamt 17. Weltmeistertitel für einen rot-weiß-roten Abfahrer, sprach der Tiroler Coach von einer „großen Genugtuung für uns alle“.
Als Abfahrts-Favorit war Kriechmayr schließlich nicht in die Ampezzaner Dolomiten gekommen, seine Saison war zumindest in der schnellsten Disziplin bisher durchwachsen verlaufen. „Der Herrgott war auf meiner Seite“, meinte der Oberösterreicher nach seinem Goldlauf. Zum einen war ihm die Super-G-artige Kurssetzung entgegengekommen („Engere Radien gehören im Abfahrtssport dazu“), dann erwies sich Startnummer eins als Glücksgriff (zuletzt hatte Pirmin Zurbriggen 1985 in Bormio als Testpilot eine Abfahrt gewonnen). Vor allem aber lag Kriechmayr am Ende nur eine Hundertstel vor dem Deutschen Andreas Sander (siehe Artikel unten). „Ich glaube schon, dass ein paar Kollegen Gegenwind gehabt haben und ein paar vielleicht weniger. Die eine Hundertstel war wirklich auf meiner Seite.“
Die Diskussion der vergangenen Tage, ob diese Abfahrt auf der „Vertigine“-Piste (zu deutsch: Höhenangst) eine WM-würdige war, hatte sich da längst erübrigt. Mit Matthias Mayer schied gar ein absoluter Topfavorit an einer Schlüsselstelle aus. Auch der Rest des Kärntner Abfahrts-Trios, das der ÖSV noch ins Rennen geschickt hatte, fuhr hinterher: Max Franz als 13., Otmar Striedinger als 19.
Kriechmayr hingegen ließ sich sogar zur Aussage hinreißen, dass es ihm in Cortina gerade „leicht von der Hand“ gehe. Und weil der Mann aus Gramastetten einer ist, der „eher im Stillen genießt und dann reflektiert“, wie er sagt, sind es auch weniger die Medaillen, sondern zum Beispiel die zahlreichen Gratulationen, sei es von Hirscher oder sonst jemandem, die einen solchen Triumph erst vergolden. „Ich werde wieder einen Haufen Zeit zum Beantworten aller Nachrichten brauchen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2021)