Gastkommentar

Die WM der 6500 Toten

Das Ahmed bin Ali Stadion in Ar-Rayyan
Das Ahmed bin Ali Stadion in Ar-RayyanAPA/AFP/KARIM JAAFAR
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Der große Fußballbewerb findet 2022 im Sklavenhalterstaat statt. Wo bleiben die Proteste des offiziellen Österreich?

In einer Sitzung des Exekutivkomitees des internationalen Fußballverbands Fifa im Dezember 2010 beschlossen 22 korrupte und nicht korrupte Funktionäre die Vergabe der WM an Russland 2018 und an Katar 2022. Gleich danach hagelte es Proteste gegen diese Entscheidung. Vor allem gegen die Vergabe an Katar. Erstens ist das Emirat eine absolute Monarchie. Es gibt weder ein Parlament noch politische Parteien. Frauenrechte sind dort ebenso fremd wie Homosexualität bei hoher Strafe verboten.

Doch die Wahl von Katar war nicht alternativlos. Neben Katar haben sich auch die USA, Japan, Südkorea und Australien um die WM 2022 beworben. Allesamt Staaten mit bewährten demokratischer Strukturen.

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Zweitens tauchte die Frage auf, wie man im Juni bei mehr als 40 Grad im nicht vorhandenen Schatten Hochleistungsfußball spielen kann. Die englische Premier League roch den Braten gleich und unterstellte der Fifa ein nachträgliches Verschieben der WM in die kühleren Wintermonate – was dann tatsächlich geschah. Angepfiffen wird die WM jetzt im November 2022.

Dieser nachträgliche, aber von vornherein geplante Taschenspielertrick der Fifa führt zu unangenehmen Verwerfungen der Spielsaisonen von Premier League, Bundesliga & Co. Statt der üblichen Sommerpause muss durchgespielt werden, um rechtzeitig vor der WM den Meister zu küren.

Es hat aber auch unangenehme Auswirkungen auf jene Sportarten, die nur im Sommer Aufmerksamkeit und damit Sponsoren erlangen, weil sie nun vom Spielbetrieb der nationalen Fußballligen überschattet werden. Die jährliche Tour de France, die Leichtathletik-WM in den USA oder die Schwimm-WM in Japan werden dadurch entwertet.

Drittens: Katar hatte zum Zeitpunkt der Vergabe gar kein WM-taugliches Stadion. Also werden gerade acht Stadien aus dem Wüstenboden gestampft– für eine Nutzung von wenigen Wochen. Die Nachnutzung ist völlig ungeklärt. Schließlich hat Katar nur 2,7 Millionen Einwohner. Davon sind 90 Prozent Arbeitsemigranten mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Nur 300.000 Bewohnerinnen und Bewohner haben einen katarischen Pass. Diese Arbeitsemigranten – es sind allesamt Männer – arbeiten an den riesigen WM-Baustellen. Bei der Ankunft wird ihnen der Pass abgenommen, sie werden in winzige Unterkünfte gepfercht, und vielen von ihnen wird monatelang kein Lohn ausbezahlt. Zahlreiche TV-Dokus beweisen diese Zustände. Einige der aus Ländern wie Nepal, Pakistan und Indien kommenden Männer waren derart verzweifelt, dass sie sich auf den Baustellen vom Gerüst geworfen haben, damit ihre Familie wenigstens eine Versicherungszahlung bekommt.

Nicht die letzten Toten

6500 Arbeitssklaven sind bisher laut einer Studie des britischen „Guardian“ auf den WM-Baustellen in Katar ums Leben gekommen. Es werden nicht die letzten gewesen sein.

Wo sind die Proteste des offiziellen Österreich? Werden Sportminister, Außenminister oder Kanzler medientauglich in einem dieser Stadien unserem Nationalteam zuzuwinken, falls es die Qualifikation schafft und im nächsten Jahr mitspielt? Kann man das ohne schlechtes Gewissen tun?

Dass andere auch nichts sagen, ist kein Argument. Natürlich ist vom FC Bayern kein kritisches Wort bei der Klub-WM Anfang Februar in Katar gekommen. Aber vom offiziellen Österreich erwarte ich mir sehr wohl eine Meinung zu den Toten im WM-Stadion. Und zwar eine ausgesprochene Meinung.

Nurten Yılmaz (*1957) ist SPÖ-Abgeordnete, Mitglied des Sportausschusses des Nationalrats und seit Jahrzehnten leidenschaftlicher Fußballfan.

E-Mails: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2021)

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