Früher sprach Präsident Recep Tayyip Erdoğan von einem „Völkermord“ an den Uiguren. Heute baut er auf Geld aus China. Die Exil-Uiguren der Türkei fürchten, bald ebenso in chinesischen Lagern zu landen wie ihre Verwandten.
Himmelblaue Fahnen mit Halbmond und Stern wehen im Frühlingswind. Hunderte Männer, Frauen und Kinder haben sich an der Uferpromenade des Istanbuler Vorortes Tarabya am Bosporus versammelt. Gegenüber liegt die Zufahrt zum chinesischen Konsulat, die von der Polizei abgeriegelt wird. Die Demonstranten halten Fahnen und Schilder mit Fotos ihrer vermissten Verwandten.
Sie sind Uiguren und gehören einer muslimischen Minderheit im Westen Chinas an, die von der Regierung in Peking unterdrückt wird. Rund 50.000 von ihnen leben in der Türkei. Damit bilden sie die größte uigurische Diaspora der Welt. Früher konnten sie noch auf die Unterstützung des türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, zählen. Doch der will das chinesische Regime nicht mehr verärgern. Einige Uiguren befürchten inzwischen sogar ihre Abschiebung.
Die halbe Familie sitzt im Lager
Unter den Demonstranten in Tarabya ist der 36-jährige Abdullah aus der Stadt Turpan in der chinesischen Uiguren-Provinz Xinjiang. Abdullah nennt seine Heimat „Ostturkestan“: Uiguren und Türken haben ethnische, sprachliche, religiöse und kulturelle Gemeinsamkeiten. Über Jahrzehnte sind Tausende Uiguren wie Abdullah in die Türkei gekommen, wo sie sich freier entfalten können als in ihrer Heimat. Lange konnten sie sogar ihre Familien in China besuchen. Doch seit einiger Zeit verstärkt Peking den Druck auf die Minderheit. Mehr als eine Million Uiguren sollen laut einer Schätzung der UN in Umerziehungslager gebracht worden sein.
Abdullah hat seit vier Jahren keinen direkten Kontakt zu seinen Verwandten in Xinjiang. Nur über Freunde erfuhr er: Sein Vater ist tot, viele Familienmitglieder sitzen im Lager. Seine Mutter und seine Schwester wurden inzwischen zwar aus der Haft entlassen, aber erreichen kann er sie immer noch nicht. Schon ein einziges Telefonat könnte für die beiden schlimme Folgen haben: „Sie haben Angst, dass sie wieder ins Konzentrationslager kommen.“