Morgenglosse

Langsamkeit kills

"Die Alternative, auf besseren Stoff in ausreichender Menge zu warten wäre ein Luxus, den sich derzeit niemand leisten kann."
"Die Alternative, auf besseren Stoff in ausreichender Menge zu warten wäre ein Luxus, den sich derzeit niemand leisten kann."(c) REUTERS (LISI NIESNER)
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Weiterzuimpfen, solange nicht alle Fragen restlos geklärt sind, ist nicht ideal. Aber was ist schon ideal in Zeiten, in denen jeder Tag, um den sich die Impfaktion verzögert, mehrere Covid-Todesfälle zur Folge hätte.

Eigentlich war AstraZeneca der Favorit. Uni Oxford statt Pharmakonzern, Vektorimpfstoff statt mRna, und überhaupt, AstraZeneca, Senecas Per aspera ad astra, durch die Mühen zu den Sternen, was für ein Versprechen. 

Aber seit AstraZeneca nicht aus den Negativ-Schlagzeilen herauskommt, ist das anders. Lieferzusagen nicht eingehalten, der Schutz vor Übertragung fraglich, die Wirksamkeit gegen Mutanten vermutlich schlechter als bei den Alternativen, die Impfeffekte dafür deutlich heftiger, der Zusammenhang mit Thrombosen, vor allem mit den extrem seltenen, aber in Deutschland doch öfter nach einer Astra-Impfung aufgetretenen Sinusvenenthrombosen ungeklärt. Seither hofft jeder Impfkandidat auf den guten Stoff, Biontech/Pfizer, oder zumindest Moderna.

Der sorgt zwar auch für unerwünschte Impfeffekte, aber seltener. Auch die überwiegende Mehrheit (46 von 48) der hierzulande im zeitlichen Zusammenhang mit einer Covid-Impfung Verstorbenen hatte Pfizer injiziert bekommen. Aber ist der Ruf erst einmal ruiniert... lassen Unzählige ihre Astra-Impftermine freiwillig ausfallen. Mit dem Höhepunkt zuletzt, als ein Land nach dem anderen die Impfaktion mit AstraZeneca aussetzte.  

Der Druck, das in Österreich ebenfalls zu tun, wurde groß. Die Entscheidung, gegen alle Widerstände kühle Köpfe zu bewahren, die Impfaktion fortzusetzen erwies sich als richtig. Trotz allen Klärungsbedarfes, der besteht: Jeder Tag an dem weniger geimpft wird als möglich wäre, kostet Menschenleben. Zwei Wochen Pause hätten bedeutet, das in Österreich fast eine halbe Million Menschen länger auf ihre erste Impfdosis warten, nach Berechnungen anhand der aktuellen Inzidenz und Infektionssterblichkeit hätten sie zu mehreren Dutzend Covid-Todesfällen geführt.

Bevor nicht alle offenen Fragen geklärt sind, die ideale Zielgruppe für Astra-Impfungen oder Ausschlusskriterien vielleicht neu definiert sind, weiter zu impfen, ist nicht ideal. Aber was ist schon ideal in diesen Zeiten. Und wenn die führenden Wissenschaftler von der Berliner Charité bis zur New Yorker Icahn School of Medicine oder der Wiener Med-Uni den Nutzen der AZ-Impfung als größer als eventuelle Gefahren sehen, sie auf Statistiken und extreme Unwahrscheinlichkeiten verweisen, tut man gut daran, ihnen zu vertrauen.

Auf Besseres warten? Den Luxus kann sich niemand leisten

Die Alternative, auf besseren Stoff in ausreichender Menge zu warten wäre ein Luxus, den sich derzeit niemand leisten kann. Mehrere hochwirksame Impfstoffe überhaupt zur Verfügung zu haben, wenn auch noch nicht in ausreichenden Mengen, ein Privileg, mit dem noch vor wenigen Monaten niemand gerechnet hätte.

Gut, dass nicht dem Dominoeffekt nachgegeben wurde, keine überhitzte Entscheidung getroffen wurde, stattdessen nüchtern auf die Wissenschaft und ihre doch beruhigenden Zahlen vertraut wurde. Gut, ein gewisses Restrisiko in Kauf zu nehmen, um das große Ganze, die Impfaktion als einzigen Ausweg aus der Coronazeit, im Blick zu behalten. Wenn dieser Weg, der unpopuläre Pragmatismus, als Folge der Astra-Krise beim Impfen bestärkt wird, es wäre einiges daraus gewonnen.  

(Die Presse)

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