Interview

Jasmila Žbanić: "Bosnien schreit vor Schmerz!"

„Mein Mann ist ein Feminist!“, betont die bosnische Filmemacherin Jasmila Žbanić. Mit ihren Filmen kämpft sie gegen Fake News an.
„Mein Mann ist ein Feminist!“, betont die bosnische Filmemacherin Jasmila Žbanić. Mit ihren Filmen kämpft sie gegen Fake News an. Kemal Softic / AP / picturedesk
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Der Film „Quo vadis, Aida?" über das Massaker von Srebrenica wurde für den Auslandsoscar nominiert. Über die Lage in ihrer Heimat heute spricht Regisseurin Jasmila Žbanić.

Am 25. April finden die heurigen Oscar-Verleihungen statt. Für den Auslandsoscar nominiert wurde auch die österreichische Koproduktion „Quo vadis, Aida?“ in der Regie von Jasmila Žbanić – über das Massaker von Srebrenica im Juli 1995. Der Krieg in Ex-Jugoslawien habe nichts mit Religion oder Nationalitäten zu tun gehabt, davon ist Žbanić überzeugt.

Wie präsent ist die Erinnerung an das Massaker von Srebrenica, bei dem 1995 unter der Führung des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić über 8000 Bosniaken, Zivilisten, vor allem Männer, getötet wurden?

Jasmila Žbanić: Die Erinnerung ist sehr präsent. Es sind ja noch immer 1000 Leichen nicht gefunden worden. Es gibt schwere Konflikte in Bezug darauf, was damals passiert ist. Der Bürgermeister von Srebrenica leugnet, dass der Genozid überhaupt geschehen ist. Das ist schrecklich für die Frauen, deren Männer, Brüder, Söhne ermordet wurden.

Ratko Mladić wurde in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilt. Bis zuletzt versuchte er einen Freispruch zu erreichen.

Ratko Mladić wird unverändert von vielen als Held gefeiert. Wir stecken noch immer mitten in einem Kampf, in falschen Narrativen und Fake Facts.

Wie kann der Bürgermeister von Srebrenica den Massenmord leugnen? Es gibt doch das große Memorial dort?

Er macht dasselbe wie Donald Trump. Man platziert Fake Facts, etwa in Internetforen. Diese falschen Behauptungen werden so lang wiederholt, bis die Leute sie glauben. Die Wahrheit steht in den Tonnen von Unterlagen des internationalen Tribunals über den Genozid. Mladić wird den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen.


Sind die Nationalitäts-und Religionskonflikte in Ex-Jugoslawien heute weniger gravierend als früher?

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Krieg niemals etwas mit Religionen oder Nationalitäten zu tun hatte. Das war nur ein Vorwand. Es ging darum, ein kommunistisches Land in ein kapitalistisches zu verwandeln und Staatseigentum zu verteilen. Natürlich gibt es nicht immer nur eine Antwort: Viele Menschen wollten nicht im zerbrochenen Jugoslawien bleiben, das hat mit Traumata aus dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Aber: Religion und Nationalität wurden als Waffe benutzt. Muslime und Serben hassten einander weniger als früher Deutsche und Franzosen.

„Quo vadis, Aida?“ zeigt vor allem den Kampf einer Frau um das Überleben ihrer Familie. Waren Sie noch einmal in Srebrenica, seit Sie Ihren Film gedreht haben?

Wir haben ihn im Memorial Center gezeigt. Wir haben uns entschieden, keine Politiker oder VIPs zur Vorführung zu bitten, sondern junge Menschen, die nach dem Genozid geboren wurden. Wir haben Leute aus Bosnien, aus Serbien und Kroatien eingeladen und Gäste aus anderen Ländern.

Hat Ihr Film eine Botschaft?

Wir wollen jungen Leuten sagen: „Ihr seid nach dem Genozid geboren. Nichts ist eure Schuld.“ Kriegsverbrecher verteilen ihre Schuld gern auf alle anderen. So wird behauptet, mein Film sei gegen Serben. Nein, er ist gegen die Kriegsverbrecher. Junge Menschen dürfen nicht ins Gefängnis der falschen Narrative gelockt werden! Einer der Gründe, warum bei uns nichts positiv weitergeht, ist, weil wir Sklaven manipulativer Erzählungen sind.

Wenn man YouTube-Clips von Sarajewo sieht, hat man den Eindruck einer fast westlichen Stadt. Meine Tochter und ihre Freunde möchten nach Sarajewo reisen.

Es gibt dort eine tolle Energie und viele talentierte Menschen. Eine Zeit lang dachte ich, Bosnien wird in die EU kommen. Aber das wird nicht passieren mit einem Land, das eine muslimische Mehrheit hat. Heute ist Bosnien ein Kampfplatz von Ost und West: Die EU, die USA, Russland und die Türkei führen einen Wirtschaftskrieg. Und wir Bosnier schreien vor Schmerz.

Was muss geschehen?

Ich möchte immer rufen: Lasst uns unseren eigenen Weg gehen und hört auf mit kolonialistischer Einmischung!

Was denken Sie über die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke?

Menschen sollen schreiben, was sie glauben, schreiben zu müssen. Aber: Mit der Jury-Entscheidung in Schweden habe ich ein Problem. Handke hat falsche Dinge über unsere politische Situation geschrieben, das hätte die Nobelpreis-Jury nicht belohnen dürfen. Es war nicht richtig, jemanden ins Rampenlicht zu stellen, der unrichtige Sachen verbreitet, die Faschisten wie den ehemaligen serbischen Präsidenten Milošević reinwaschen.

Wie kamen Sie zum Film?

Ich war schon mit sechs Jahren entschlossen, Regisseurin zu werden. Ich habe Kinder eingesammelt und mit ihnen Performances gemacht. Zur Belohnung durften sie nachher in den Eissalon. Ein Onkel hat mir eine Kamera geschenkt, mit der habe ich auf Geburtstagsfesten Kurzfilme gedreht.

Sie waren auch Puppenspielerin.

Als Studentin. Beim Bread and Puppet Theatre in New York. Sein Gründer, Peter Schumann, buk immer Brot vor der Show. Er hielt Essen und Kunst für gleich wichtig. Ich lernte bei ihm, dass man schwere politische Themen meisterhaft und schön verpacken kann. So mache ich das auch in meinen Filmen, ich glaube, dass jeder Film politisch ist, selbst seichte Unterhaltung.

Sie sind glücklich verheiratet. Ist Ihr Mann so etwas wie ein Feminist?

Ich bin glücklich verheiratet, und natürlich ist mein Mann ein Feminist. Er hat keine andere Wahl. Wir produzieren zusammen Filme. Er sagt, er arbeitet lieber mit Frauen als mit Männern. Frauen sind verantwortungsvoller, engagierter, und sie machen ihren Job mit Liebe und innerhalb der vorgegebenen Zeit. Darum werken in unserer Filmproduktion mehr Frauen als Männer.

Was wünschen Sie Ihrer Tochter?

Sie ist 20 Jahre alt und eine sehr smarte Feministin, die patriarchalische Strukturen in Bosnien und in der Welt durchschaut. Sie studiert und wird über ihre Generation schreiben. Ich wünsche ihr, dass sie in einem progressiven Europa und einem ebensolchen Bosnien lebt und dafür ihren Beitrag leistet.

Zur Person

Jasmila Žbanić
wurde 1974 in Sarajevo geboren.

1997 gründet sie ihre Filmproduktionsfirma Deblokada. Während des Krieges in Ex-Jugoslawien ist sie teils in Sarajewo, teils in Amerika.

2006 Žbanićs Spielfilm „Esmas Geheimnis – Grbavica“ den Goldenen Bären der Berlinale.

2010 Žbanićs Film „Zwischen uns das Paradies“ wird in den offiziellen Wettbewerb der Berlinale eingeladen.

2020 „Quo vadis, Aida?“ wird zum Wettbewerb um den Goldenen Löwen in Venedig geladen.

2021 Oscar-Nominierung für „Quo vadis, Aida?“. Žbanić wird in die internationale Jury der Berliner Filmfestspiele berufen. Ehrungen: Friedenspreis des Deutschen Films - Die Brücke, Kairos-Preis.

„Quo vadis, Aida?“ soll am 9. Juli in den österreichischen Kinos starten.

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