Brasilien

Der Raubzug der Brandroder im Regenwald

Rauch im Urwald des brasilianischen Amazonasstaates Amapá, Bild vom Vorjahr.
Rauch im Urwald des brasilianischen Amazonasstaates Amapá, Bild vom Vorjahr.APA/AFP/NELSON ALMEIDA
  • Drucken

In Brasilien wird trotz Pandemie vermutlich mehr Wald zerstört als je zuvor. Präsident Bolsonaro will das nun stoppen, sagt er. So richtig glauben kann das niemand.

Einen solchen Vorgang gibt es auch nicht alle Tage, nicht einmal im explosiven Brasilien des Jair Bolsonaro: Der Chef der Bundespolizei im Staat Amazonas, Alexandre Saraiva, erstattete Mitte April Strafanzeige gegen Umweltminister Alexandre Salles. Der Minister, ein Senator sowie der Superintendent der Umweltbehörde Ibama sollen „die Aufsichtspflicht der Behörden in Umweltfragen“ hintertrieben sowie die Arbeit der Bundespolizei erheblich gestört haben. Weil sie zudem die Aktivitäten illegaler Holzhändler im Amazonasbecken öffentlich verteidigt und dabei auch Manipulationen begangen haben sollen, beschuldigte der Polizeichef den Minister, „Teil einer kriminellen Organisation von Holzfällern“ zu sein.

Die Karriere des Polizisten war schon am nächsten Tag beendet. Aber die Strafsache gegen den Minister liegt nun vor dem Höchstgericht.

Das Thema Amazonas schwelt, seitdem Jair Bolsonaro am Neujahrstag 2019 in den Planalto-Palast einzog. Als der nun angezeigte Umweltminister im Februar 2019 mit der systematischen Demontage der Umweltbehörde Ibama begann und festgenommene Holzräuber als „anständige Kerle“ verteidigte, erkannten auch viele Viehzüchter ihre Chance und begannen zu zündeln. Der Rauch dieser Feuersbrunst verdunkelte im August 2019 die 3000 Kilometer südlich des Amazonas gelegene Metropole São Paulo und handelte dem Land weltweit Probleme ein. Norwegen und Deutschland blockierten die Gelder ihres gemeinsamen Amazonas-Fonds, Österreichs Parlament verweigerte, so wie auch die Regierungen in Paris und Dublin, die Zustimmung zum 2018 ausgehandelten Freihandelsvertrag zwischen der EU und der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur.

Corona war keine Bremse. Nicht einmal das Coronavirus, das weite Teile des Landes in den Lockdown trieb, konnte den Kahlschlag aufhalten. 2020 ging womöglich mehr Tropenwald verloren als im Konfliktjahr 2019. Obwohl die Regierungsbehörden einen leichten Rückgang der Rodungen bekanntgaben, gehen Umweltschutzorganisationen von Zunahmen aus. Daten der University of Maryland und der NGO Global Forest Watch beziffern den Verlust an Primärwald in Brasilien im Vorjahr auf mehr als 17.000 Quadratkilometer, das ist etwas mehr als die Fläche der Steiermark. Selbst im März 2021, als in allen Staaten Brasiliens das Gesundheitssystem an die Belastungsgrenze gelangte und oft überfordert war, wurde die Abholzung nicht aufgehalten. Diesen März verlor die Amazonas-Region 210 Prozent mehr Wald als im März 2020, warnte die Umwelt-NGO Imazon. 810 Quadratkilometer seien allein im März gerodet worden, fast das Doppelte der Fläche des Bundeslandes Wien. Im Monatsvergleich war es der größte Verlust der vergangenen zehn Jahre.

FILE PHOTO: Indigenous people from the Mura tribe show a deforested area in unmarked indigenous lands inside the Amazon rainforest near Humaita
FILE PHOTO: Indigenous people from the Mura tribe show a deforested area in unmarked indigenous lands inside the Amazon rainforest near Humaita(c) REUTERS (Ueslei Marcelino)

Obwohl Bolsonaro im September 2019 angekündigt hatte, mithilfe des Militärs gegen die illegalen Abholzungen vorzugehen, schritt die Verwüstung voran. Ende des Vorjahrs beschlagnahmte die Bundespolizei auf dem Mamuru-Fluss Flöße und Boote, die insgesamt 200.000 Kubikmeter illegal geschlagenen Edelholzes transportierten: 65.000 Bäume bzw. 10.000 Lkw-Ladungen. Es war die größte Sicherstellung von illegalem Tropenholz in der Landesgeschichte. 11,5 Millionen Euro hätten die Holzhändler damit verdienen können, schätzen die Behörden. Der Zugriff war von jenem Polizisten koordiniert worden, der nun Umweltminister Salles anzeigte – wegen dessen wiederholten Versuchen, die Holzmafia zu schützen.

Bolsonaros Anbiederung an Biden. In den sozialen Netzen verbreitete der Minister Videos, in denen er – mit einem Hubschrauber der Umweltbehörde im Depot der sichergestellten Tropenhölzer gelandet – fälschlich behauptete, sie seien legal gefällt worden. Er hatte im Vorjahr in einer von der Justiz aufgezeichneten Kabinettssitzung vorgeschlagen: „Wir sollten den Fokus der Medien auf das Coronavirus nutzen, um die Regeln für den Umweltschutz zu ändern.“

Zehn Jahre früher als geplant will man klimaneutral sein. Nun ja.

Salles ist, wie sein Chef, nun in die Offensive gegangen. Am selben Tag, als er den aufmüpfigen Polizeichef aus dem Amazonas feuern ließ, sandte Jair Bolsonaro einen Brief an US-Präsident Joe Biden. Darin versprach er, dass sein Land die illegale Abholzung bis 2030 beenden wolle. Zudem habe er das Ziel der totalen Klimaneutralität um zehn Jahre vorverlegt. Südamerikas Riese solle bis 2050 nicht mehr Schadstoffe emittieren, als es neutralisieren könne, nicht, wie bisher angestrebt, bis 2060.

Diese Versprechen, die Bolsonaro vorige Woche auf dem von der neuen US-Präsidentschaft organisierten virtuellen Leaders Summit on Climate wiederholte, sind mit Zurückhaltung aufgenommen worden. Aus zwei Gründen: Sie zielen auf lange Zeiträume, dabei ist die Krise im Tropenwald akut. Und sie kommen von Bolsonaro. Dem Politiker, der wie sein Idol Donald Trump aus der internationalen Klima-Allianz austreten wollte, es dann aber aus Rücksicht auf die Agrarexporteure doch bleiben ließ. In seiner Gipfelansprache erwähnte Bolsonaro nicht, was er und sein Umweltminister zuvor schon gefordert hatten: Brasilien möchte von der entwickelten Welt unterstützt werden, um seinen Regenwald zu bewahren. Eine Milliarde Dollar jährlich wolle man beziehen, um die Rodungen um 30 bis 40 Prozent zu senken, fordert Umweltminister Salles.


Belohnung fürs Verwüsten? Aber: Nur ein Drittel des Geldes würde laut Salles direkt in den Schutz der Wälder fließen, der Rest würde für „wirtschaftliche Entwicklung“ ausgegeben, um alternative Lebensgrundlagen für die zu schaffen, die von Abholzung, Bergbau und Landwirtschaft im Amazonasgebiet abhängig sind. Das weckte Befürchtungen, Salles werde das Geld an Bauern und Landräuber weiterleiten und diese treuen Wähler fürs Verwüsten des Waldes auch noch belohnen.

Brasilianische Politologen werten Bolsonaros Schwenk als Manöver, um in der dramatischen dritten Corona-Welle der wachsenden Isolation zu entkommen, im Aus- und Inland. Längst fordern auch Brasiliens Industrielle von Bolsonaro ein entschiedeneres Handeln gegen die Brandroder. Zudem haben sich im Norden – etwa in den USA, Großbritannien und der EU – Initiativen gebildet, um konkrete Fortschritte in den Tropenwäldern zu belohnen – und nicht nur auf Ebene von Zentralregierungen. So können auch Brasiliens Gouverneure aus dem Ausland erhebliche Mittel bekommen, wenn sie gegen die Abholzung vorgehen. Eines ist jedoch klar: Versprechen werden nicht belohnt. Nur vollbrachte Taten. ⫻

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Studie

Amazonas-Regenwald stößt mehr CO2 aus als er absorbiert

Der brasilianische Amazonas-Regenwald sei „gekippt und jetzt ein Netto-Emittent“, heißt es in einer aktuellen Studie. Die Forscher fürchten einen irreversiblen Schaden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.