Wort der Woche

One Health-Ansatz

Um komplexe biologische Phänomene verstehen zu können, ist die Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen nötig. Einen Weg dazu weist der One Health-Ansatz.

Man schrieb das Jahr 2004, als ein Begriff, der derzeit in Fachkreisen Hochkonjunktur hat, zum ersten Mal auftauchte: Damals veranstaltete die Wildlife Conservation Society in New York eine Konferenz mit dem Titel „One World, One Health“. Man diskutierte, wie sich optimale Gesundheit für Menschen, Tiere und Umwelt gleichermaßen erzielen ließe. Rasch nahmen UN-Organisationen den Grundgedanken von „One Health“ auf, dass man Medizin, Veterinärmedizin, Biologie, Umweltforschung, Ökologie usw. nicht voneinander getrennt sehen dürfe, sondern zusammenführen müsse, um ein gesamtheitliches Bild der belebten Natur zu bekommen – um dadurch z. B. Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen, die Lebensmittelsicherheit zu erhöhen oder Zoonosen (Tierkrankheiten, die auf den Menschen überspringen) zu kontrollieren.

Mit der Coronakrise wurde endgültig klar, dass dieser Gedanke goldrichtig ist: Die Ausbreitung der Covid-19-Viren hat ebenso viel mit menschlicher Gesundheit zu tun wie mit der Zerstörung natürlicher Lebensräume und der Art des Zusammenlebens von Mensch und Tier.

Wie fruchtbar der „One Health“-Ansatz ist, zeigte sich diese Woche gleich in mehreren wissenschaftlichen Publikationen: In „BioScience“ (19. 5.)beschrieb ein Forscherkonsortium um Montserrat Vilà (Universidad de Sevilla) mit Wiener Beteiligung, dass sich Erklärungsmuster, die von Ökologen für die Ausbreitung invasiver Arten entwickelt wurden, auch auf Pandemien anwenden lassen. Und umgekehrt – dass epidemiologische Modelle von Medizinern auch in der Biologie eingesetzt werden können. Die beiden Fachrichtungen wären also gut beraten, stärker zu kooperieren.

Zu einem ähnlichen Schluss kamen österreichische Forscher um Isabella Pali-Schöll (Vet-Med-Uni Wien) am Beispiel von Allergien gegen das Kuhmilch-Protein Beta-Lactoglobulin: Dieser Eiweißstoff kann zum einen Allergien auslösen, zum anderen aber auch Eisenkomplexe oder Vitamine aufnehmen und zu Immunzellen transportieren, wo diese eine Immun-Resilienz bewirken – also Allergien verhindern (Allergy, 2021;00:1–4). Welcher Effekt überwiegt, hängt offenbar von zahlreichen Faktoren ab, die außerhalb der Medizin liegen: Vermutet wird z. B. ein Einfluss von Umweltbedingungen oder der Fütterung und des Stress-Levels der Kühe auf die Bindungseigenschaften des Proteins.

Solche Fragestellungen sind nur mithilfe des interdisziplinären „One Health“-Ansatzes lösbar.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com
www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2021)

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