Was kommt denn noch alles?

Die Iren sind zwar Rekordhalter im Geldverbraten, aber sie liegen damit besorgniserregend im Mainstream.

Für die voraussichtliche Höhe des irischen Budgetdefizits hat die englische Sprache eine schöne Bezeichnung: mind-boggling. Da wackelt einem das Hirn: Mehr als die Hälfte der heurigen Staatsausgaben wird nicht durch Einnahmen gedeckt sein. Die irische Regierung wird sich das Geld, mehr als 30 Milliarden Euro, ausborgen müssen. Die - zunächst - gute Nachricht: Ein großer Teil davon sind Einmalzahlungen, um das irische Banksystem zu retten. Das Budgetdefizit soll also bis 2014, so hat der Finanzminister gestern „unmissverständlich festgestellt", auf die im Maastrichtvertrag vorgeschriebenen drei Prozent des BIPs sinken.

Wenn es wirklich so kommt, dann kommt der irische Steuerzahler mit einem dunkelblauen Auge davon. Der heurige Budgetwahnsinn wird sich jährlich mit mehr als 450 Euro höherer Zinslast pro Ire - Mann, Frau und Kind - niederschlagen. Das Blöde ist nur: Niemand weiß, ob es wirklich so kommt. Die Probleme der irischen Banken galten weithin als bewältigt. So hat die Regierung etwa in dem Budgetpfad, den sie regelmäßig an Brüssel schicken muss, noch im Dezember 2009 kein Wort über mögliche weitere öffentliche Bankenhilfen verloren. Das Vertrauen ist dementsprechend lädiert. Was kommt noch alles? Und wird Irland genug Gläubiger finden, die das Defizit finanzieren?

Eines ist jedenfalls klar - und der Finanzminister hat es gestern auch unterstrichen: Die privaten Gläubiger der Anglo Irish Bank und der anderen schlingernden Banken bleiben ungeschoren. Und damit kommen wir zum Kern des Problems: die anhaltenden Verzerrungen des Marktes.

Während der Immobilienblase, die sich in den Jahren 2000 bis 2006 in Irland aufgebaut hat, haben die Banken gut damit verdient, das Geld internationaler Investoren aufzunehmen und im Land an immer windiger werdende Projekte weiterzuverborgen. Solange die Preise gestiegen sind, haben alle gut davon gelebt. Doch als der Plafond erreicht war, ist das Pyramidenspiel zusammengebrochen. Die Projektbetreiber sind in Konkurs gegangen und ihre Mitarbeiter haben den Job verloren. Die Bankaktionäre sind arme Schlucker geworden. Nur die Finanziers der Banken sind fein raus: Ihre Zinsforderungen werden nun von den irischen Steuerzahlern beglichen, und ihre Kapitalrückzahlung ebenfalls.

Diese impliziten Staatsgarantien für auf Sand gebaute Investitionen sind ein Grundmuster der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Sie unterstützen Blasenbildung und machen die Marktwirtschaft damit krisenanfälliger, als sie sein müsste. Und sie sind ein gravierendes ungelöstes Problem. Weder Basel III noch eine gesetzliche Obergrenze für Managergehälter noch ein Verbot von Spekulationsgeschäften noch eine Bankensteuer noch eine Finanztransaktionssteuer ändert was dran.

Natürlich hat es Sinn, durch strenge Risikoregeln von vornherein die Zahl der Bankpleiten zu minimieren. Ein sicheres Mittel ist das aber auch nicht, weil Risiko erstens trotz hoch entwickelter Finanzmathematik in Boomzeiten immer noch ziemlich schlecht in den Griff zu bekommen ist, und weil zweitens Regeln die schlechte Angewohnheit haben, in Zeiten allgemeinen Optimismus und guter Geschäftslage aufgeweicht zu werden - also rechtzeitig, um aus einem Boom eine Blase werden zu lassen.

Das wirksamste Mittel wäre, dass sich sämtliche Regierungen glaubwürdig dazu verpflichten, künftig keine Banken mehr aufzufangen. Es ginge natürlich auch, in einem Basel-IV-Vertrag festzuschreiben, dass für staatliche Bankgarantien zuerst das gesamte Vermögen der regierenden Politiker herangezogen wird, bevor der Steuerzahler drankommt. Das liefe de facto auf dasselbe hinaus. Beides hätte freilich dieselbe konjunkturdämpfende Auswirkung: Kredite würden deutlich teurer, weil das Risiko für Geldgeber beträchtlich steigt. Aber realistisch ist das ohnehin nicht.

Der Status quo ist jedenfalls keine freie Marktwirtschaft, sondern eine brisante Mischform mit einem implizit teilverstaatlichten Finanzsystem. Zur Ruhe kommt ein solches System nie. Aber das wäre nicht so tragisch: Ein disruptives System kann durchaus einer Gesellschaft im langfristigen Trend mehr Wohlstand bringen als ein ruhiger, aber flacher Anstieg. Das funktioniert jedoch nur dann wirklich gut, wenn am Ende einer Boomphase die Staatssäckel gut gefüllt sind, sodass man durch die anschließende Krisenphase ohne große Substanzverluste kommt. Das eigentlich Beunruhigende ist, dass dies heute kaum noch ein Land zustande bringt. Die USA nicht, Irland nicht, aber auch Österreich nicht.

michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2010)

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