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Die vergessenen Toten von Tulsa

100 year anniversary of the 1921 Tulsa Massacre
100 year anniversary of the 1921 Tulsa MassacreREUTERS
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Es gilt als eines der schlimmsten Massaker der USA: Bis zu 300 schwarze Einwohner von Oklahoma starben vor 100 Jahren durch die Gewalt von Weißen. Ein unfassbares Geschehen - das erst spät anerkannt wurde.

Zum 100. Jahrestag des rassistisch motivierten Massakers von Tulsa reist US-Präsident Joe Biden am Dienstag in die Stadt im Bundesstaat Oklahoma. In Tulsa hatte 1921 ein Menge von Weißen bis zu 300 Schwarze getötet - eines der schlimmsten Massaker an Afroamerikanern in der US-Geschichte.

Was geschah?

Ausgangspunkt der Gewalt waren Vorwürfe gegen einen jungen Schwarzen, Dick Rowland, die von einer damaligen Boulevardzeitung in Tulsa verbreitet worden waren: Es wurde behauptet, der 19-Jährige habe sich in einem Aufzug an einer weißen Frau vergangen.

Tulsa war zu dem Zeitpunkt eine segregierte Stadt: Weiße und Schwarze durften nicht dieselben Einrichtungen benutzen, und die schwarze Bevölkerung lebte im Stadtteil Greenwood, heute bekannt als „schwarze Wall Street“ - ein Terminus, der oft spöttisch für das dort gut funktionierende Geschäftsleben verwendet wurde. Greenwood hatte tatsächlich ein reges eigenständiges Leben: Auch zwei Zeitungen erschienen dort, viele Schwarze, die dort lebten, setzten sich mit Bürgerrechten auseinander. Das fand auch vor dem Hintergrund der existierenden Lynchjustiz statt. Während viele Afroamerikaner aus dem „alten Süden“ in das einstige Gebiet der Ureinwohner in Oklahoma gezogen waren, um dort freie Leben aufzubauen, waren sie bald Zielscheibe von weißen Gewalttaten und letztlich von Rassentrennung.

Heute geht man davon aus, dass Dick Rowland in dem Aufzug schlicht gestolpert war - und sich an dem Arm der Frau festhielt, um nicht zu stürzen. Die Frau soll geschrien haben, ein weißer Mitarbeiter informierte die Polizei und berichtete von einem sexuellen Übergriff. Rowland war auf dem Weg zu Toilette für Schwarze, die im obersten Stockwerk eines Geschäftshauses untergebracht war.

Rowland wurde daraufhin am 31. Mai 1921 festgenommen. Vor dem Gerichtsgebäude, in dem er festgehalten wurde, versammelten sich weiße Männer - nach berichten, der junge Mann könnte gelyncht werden. Das wiederum bewegte eine kleinere Menge Schwarzer, zu dem Gebäude zu kommen. Der örtliche Sheriff überzeugte die Afroamerikaner, das Gelände zu verlassen - als aber ein Schuss fiel, kam es zu Chaos: Zehn Weiße und zwei Schwarze starben in der anschließend Schießerei, und die Nachricht davon führte einem Gewaltausbruch in der Stadt.

United States Library of Congress
Events of the Tulsa Disaster, Mary E. Jones Parrish

Am Morgen des 1. Juni überrannte ein Mob von Weißen Greenwood. Die Angreifer erschossen zahlreiche Schwarze, plünderten das Viertel und brannten mehr als 1200 Häuser nieder, außerdem Kirchen, Schulen und Geschäfte. Während die Behörden die Zahl der Todesopfer zunächst mit weniger als 40 angaben, gehen Historiker inzwischen von 100 bis 300 Toten aus.Rowland selber entkam der Gewalt. Der Prozess gegen ihn wurde Monate später beendet, die Frau wünschte keine Anklage gegen ihn.

Was sagen Zeitzeugen?

"Ich sehe immer noch schwarze Männer vor mir, die erschossen werden, die Leichen von Schwarzen in den Straßen", sagte Mitte Mai die 107-jährige Tulsa-Überlebende Viola Fletcher vor dem US-Kongress. "Ich sehe immer noch Geschäfte von Schwarzen vor mir, die niedergebrannt werden. Ich höre immer noch die Schreie."

Wie wurde das Massaker aufgearbeitet?

2001 legte eine Kommission einen Untersuchungsbericht zu dem Massaker vor. Darin ist unter anderem festgehalten, dass viele der weißen Angreifer von der Polizei mit Waffen ausgestattet und mit der Unterstützung der Sicherheitskräfte beauftragt worden waren - und dann die Gewalt anheizten. Viele gewählte Vertreter der Stadt, Polizeibeamte, Richter und Geschäftsleute gehörten dem rassistischen Ku Klux Klan an.

Niemand wurde je juristisch wegen des Massakers zur Verantwortung gezogen. Die Familien der Opfer erhielten keine Entschädigungen. "Fast 100 Jahre lang hat sich niemand für uns interessiert", sagte die Überlebende Fletcher Mitte Mai vor dem Kongress. "Wir und unsere Geschichte wurden vergessen, weggewaschen."

2018 kündigte Tulsas Bürgermeister G. T. Bynum eine Suche nach möglichen Massengräbern an. Im Oktober 2020 wurden in einem Gebiet mindestens zwölf Särge entdeckt - unklar ist bisher aber, ob es sich bei den bestatteten Toten um Opfer des Massakers handelt.

(APA/AFP/Red.)

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