Film

"Quo Vadis, Aida?": Ein filmisches Denkmal für Srebrenica

Jasna Đuričić in "Quo Vadis, Aida?"
Jasna Đuričić in "Quo Vadis, Aida?"(c) Farbfilm / Deblokada / Christine A. Maier
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Jasmila Žbanićs Drama „Quo Vadis, Aida?“, das heuer für den Auslandsoscar nominiert war, stellt das Massaker von Srebrenica nach – und knüpft dabei meisterlich an große Gedenkfilme wie „Schindlers Liste“ an.

Im Jahr 1993 rief US-Präsident Bill Clinton öffentlich dazu auf, sich schleunigst Steven Spielbergs Holocaust-Drama „Schindlers Liste“ anzusehen. Seine Empfehlung („Go see it!“) wurde nicht nur als Werbung für einen Aufklärungsfilm über Nazi-Verbrechen gelesen, sondern auch als Appell, jüngere Entwicklungen im damaligen Jugoslawien-Krieg nicht aus den Augen zu verlieren. Doch die erhoffte Intervention blieb aus, und eineinhalb Jahre später kam es bereits zum Genozid von Srebrenica.

„Quo Vadis, Aida?“, ab Freitag im Kino, ist eine filmische Nachstellung dieses größten europäischen Kriegsverbrechens seit Ende des Zweiten Weltkriegs, bei dem mehr als 8000 vorwiegend männliche Zivilisten innerhalb kürzester Zeit von der serbischen Armee getötet wurden – unter Führung des kürzlich vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal zu lebenslanger Haft verurteilten Generals Ratko Mladić.

Manchmal wirkt dieser Film wie eine Wiederholung wegweisender künstlerischer Aufarbeitungen anderer Völkermorde aus früheren Zeiten. Dabei hat sich der hier geschilderte vor nur 25 Jahren ereignet, im heißen Sommer 1995. So schreit etwa ein Mann aus der im UN-Stützpunkt zusammengepferchten Masse von Bosniaken „Gas!“, als ihm die Angstvorstellung einschießt, seine Verfolger könnten heimlich Gift in die überfüllte Lagerhalle einlassen.

Die ebenfalls aus Bosnien stammende Regisseurin Jasmila Žbanić müsste die Analogie zwischen Auschwitz und Srebrenica aber gar nicht herstellen. Das akribisch dokumentierte Verbrechen bietet Parallelen im Detail von selbst an. Wie historisch verbürgt, gewähren auch im Film überforderte Blauhelme bewaffneten Soldaten Einlass ins UN-Schutzzentrum, wo diese per Fingerzeig entscheiden, wer abgeführt wird. Draußen wartet eine Buskolonne. Bald hat sie alle – auch Alte und Kinder – verschluckt.

Obwohl Žbanić aus Pietät keine Sterbenden zeigt, schmerzt es, dem bekannten Verfahren der Selektion und Deportation beim perfekten Funktionieren zuzuschauen. Schockiert ist man auch, weil man weiß, dass der Passionsweg für die Betroffenen in namenlosen Massengräbern enden wird. Das engagierte Unterfangen Žbanićs (und ihrer österreichischen Kamerafrau Christine A. Maier), die monströse Tragweite des Massakers filmisch zu bannen, gelingt so auf eindringliche Weise.

Ermahnung aus dem Jenseits

Raue Bilder zeigen die bedrängten Körper aus unmittelbarer Nähe. Das Drama spielt sich fast in Echtzeit ab. Der Realismus ist geradezu physisch. Abwechselnd trifft man auf drei Typen von Gesichtern: das entsetzte Antlitz der Eingeschlossenen, die teilnahmslose Miene der UN-Soldaten und die hochnäsigen Häupter der serbischen Nationalisten. Obwohl immer wieder Menschenmassen in der Totalen gezeigt werden, um an die hohe Opferzahl zu erinnern, betonen Großaufnahmen, dass es bei der Vernichtung einer scheinbar gesichtslosen Menge immer um die Ermordung von Individuen geht.

Rassistische Gewalt, so der Tenor, neigt zum Exzess, wenn sie keine äußeren oder moralischen Widerstände fürchten muss. Die UN-Soldaten schauen weg, die Täter erscheinen als Fanatiker. Daher tut es auch weh, wenn die Schauspieler direkt in die Kameralinse starren – als diene der Bruch mit der vierten Wand einer Ermahnung aus dem Jenseits, man möge sich bitte nicht ähnlich vorschnell von ihnen abwenden wie dereinst die westlichen Militärs.

Die von Jasna Ðuričić mit unvergleichlicher Intensität verkörperte Titelheldin – eine fiktive Übersetzerin, die zwischen ihrer Vermittlungspflicht und der Sorge um die eigene Familie zerrissen ist – zeigt intensives Mitgefühl in einer von Pragmatikern und Chauvinisten beherrschten Chaoswelt. Bei ihr laufen nicht nur die Sprachen, sondern auch die Perspektiven der Konfliktakteure zusammen. Wie sich Aida an die Fersen ihrer Gegenüber klebt, bittend, verhandelnd, beschwörend, wie sie im Epilog bitterlich um die Ermordeten weint: Vor allem diese Szenen machen Žbanićs Film, der heuer für den Auslandsoscar nominiert war, so wichtig. Weil sie Srebrenica nicht nur durch minutiöse Rekonstruktion, sondern auch sinnlich und emotional nahezukommen versuchen.

Eine Zuflucht zu einem beruhigenden Happy End oder kontrafaktische Fantasien wie bei den Historienfilmen Quentin Tarantinos finden sich hier nicht. Trotzdem lässt Žbanićs Feingefühl für zwischenmenschliche Momente mitten im Albtraum etwas aufblitzen, das zwar nicht als Hoffnung bezeichnet werden kann, aber etwas positiv Menschliches aufzeigt: unsere Fähigkeit zum Empfinden und Erinnern als letztmöglichen Trost im Angesicht des Grauens. In diesem Sinne: „Go see it!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2021)

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