Erhebung

Deutsche und Euro-Wirtschaft sind geradezu in Euphorie

Die Leute kaufen wieder kräftig ein.
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Die Stimmung in den Chefetagen ist besser als von Experten erwartet. Aber alle treibt ein- und dieselbe Sorge um.

Trotz Inflationssorgen lässt die deutsche – wohlgemerkt Europas größte – Wirtschaft nach dem Lockdown-Ende die Pandemie-Krise allmählich hinter sich. Das zeigt die vom Ifo-Institut ermittelte Stimmung in den Chefetagen, die so gut ist wie seit November 2018 nicht mehr. Das Barometer stieg im Juni auf 101,8 Punkte von 99,2 im Mai und damit sogar stärker als von Experten erwartet, wie am Donnerstag mitgeteilt wurde. „Die deutsche Wirtschaft schüttelt die Corona-Krise ab“, unterstrich Ifo-Präsident Clemens Fuest. Insgesamt sehen die Münchner Forscher die Konjunktur im Aufwind und rechnen für das Frühjahr mit einem Wachstum von 1,3 Prozent, das im Sommer mit 3,6 Prozent noch stärker ausfallen dürfte. „Die deutsche Wirtschaft nimmt weiter Tempo auf“, so Ifo-Experte Klaus Wohlrabe gegenüber Reuters.


Tags zuvor hatte bereits das Institut IHS Markit unter Berufung auf seine monatliche Firmen-Umfrage mitgeteilt, dass der so genannte Einkaufsmanagerindex im Juni auf 60,4 Punkte von 56,2 Zählern im Mai gestiegen ist. Damit tendiert das Barometer weit jenseits der Wachstumsschwelle von 50 auf dem höchsten Niveau seit März 2011.

Vollgas voraus in der Eurozone


Aber auch in der gesamten Euro-Zone herrscht wieder Zuversicht. Die Lockerungen vom Corona-Lockdown bescherten ihr das kräftigste Wachstum seit 15 Jahren. Der Einkaufsmanagerindex kletterte unerwartet deutlich um 2,1 auf 59,2 Punkte. „Es gibt nur ein Signal, das vom Einkaufsmanagerindex für die Konjunktur ausgeht: Vollgas voraus“, konstatierte VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel.


Doch zurück zum Konjunkturbefund des Ifo-Instituts: Ein wichtiger Faktor für den Aufschwung seien die Öffnungen nach dem Lockdown, die viele Dienstleister und den Handel geradezu beflügelt hätten, sagt Wohlrabe. Auch das von Corona schwer gebeutelte Gastgewerbe sieht Licht am Ende des Tunnels. „Die Lage ist zwar noch schlecht, aber der Optimismus bei Hotels und Gaststätten steigt“, sagte Wohlrabe.


Dank der Ersparnisse aus den Zeiten des Lockdowns könnte bei einigen Verbrauchern das Geld etwas lockerer sitzen, führte Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW-Förderbank, aus. Die Industrieunternehmen und der Bau hätten schon länger keine Absatzprobleme. Doch knirsche es wegen ausgeprägten Materialengpässen etwas im Getriebe.


Insbesondere der Industrie macht der Preisauftrieb zu schaffen, auch wenn Bundesfinanzminister Olaf Scholz vor überzogener Inflationsfurcht in Deutschland warnt. Waren und Dienstleistungen hatten sich im Mai um durchschnittlich 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat verteuert. Scholz äußerte sich bei RTL/ntv optimistisch, dass die Inflation kein allzu großes Problem werde. Alle Experten, die sich mit der Thematik beschäftigten, sagten zwar, dass es in diesem und im nächsten Jahr Inflation gebe, aber: „viel geringer und ganz normal“, fügte der SPD-Politiker hinzu.

Rohstoffengpässe als „großes Problem"


Doch die deutsche Industrie ächzt bereits unter deutlich gestiegenen Kosten. Gründe dafür sind laut dem Industrieverband BDI unter anderem Lieferengpässe bei Halbleiterchips, Kunststoffen, Verpackungsmaterial, Stahl und Metallen. „Wie stark dieses Thema die Konjunkturkennzahlen letztlich negativ beeinflussen wird, das wird sich noch zeigen“, so BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Engpässe bei wichtigen Vorprodukten blieben „ein großes Problem“, konstatierte Ifo-Experte Wohlrabe. „Sehr viele Unternehmen wollen wegen der gestiegenen Kosten ihrerseits die Preise erhöhen.“


Auch der Chefökonom des Instituts IHS Markit, Chris Williamson pflichtete bei: Firmen hätten Schwierigkeiten, die Nachfrage zu befriedigen, da sie unter Engpässen sowohl bei Rohstoffen als auch beim Personal litten. „Unter diesen Bedingungen wird die Preismacht der Unternehmen weiter zunehmen, was den Inflationsdruck in den kommenden Monaten unweigerlich steigen lassen wird.“ 


„Die Materialengpässe in der Industrie werden hoffentlich im Laufe der kommenden Monate nachlassen“, sagte LBBW-Experte Jens-Oliver Niklasch. In der Wahrnehmung der Märkte jedenfalls habe der Anstieg der Inflation die größere Bedeutung. Der Konjunkturaufschwung sei am Markt schon eingepreist, dauerhaft steigende Inflation nicht.

(Reuters/red.)

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