Landschaftsplanung

Eine Bauanleitung für die grüne Stadt der Zukunft

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Die Stadt und die Natur vereinen – das ist das Grundprinzip der Biotope Cities. Am Wienerberg wird nun das europaweit erste großvolumige Bauvorhaben nach dem Konzept fertiggestellt. Eine wissenschaftliche Begleitung legt den Grundstein für weitere Umsetzungen.

Beton – ja, den gibt's auch. Vor allem aber viel Grün. Das ist es, was die Biotope City am Wienerberg auszeichnet. Die 14 Baukörper liegen verstreut zwischen Triester Straße und Erholungsgebiet – dort, wo bis vor neun Jahren Coca-Cola Limonaden herstellte. Auf dem 5,4 Hektar großen ehemaligen Industrieareal ist seither ein Gemeinschaftsprojekt von sieben Bauträgern in die Höhe gewachsen, in dem knapp 1000 – zum Großteil geförderte – Wohnungen sowie Geschäfte, Kinderbetreuungseinrichtungen und ein breites Infrastrukturangebot untergebracht sind. Die letzten Wohneinheiten werden dieser Tage übergeben.

Die Siedlung gilt als europaweit größte Umsetzung eines Konzepts, mit dem die deutsch-niederländische Stadtplanerin Helga Fassbinder vor nunmehr fast 20 Jahren ihren Neuentwurf des Begriffs „Stadt“ formulierte. Seither hat ihr städtebauliches Verständnis durch die immer deutlicher spürbar werdenden Auswirkungen des Klimawandels zunehmend an Brisanz gewonnen. Zentrale Forderung ist die Integration der Natur in den urbanen Lebensraum mit dem Ziel, die Mechanismen der Natur und des Ökosystems für die Milderung der Folgen der klimatischen Veränderungen zu nutzen. Das Blattgrün der Pflanzen etwa trägt in den heißer werdenden Sommern zur mikroklimatischen Kühlung bei, es reguliert die Luftfeuchtigkeit, reinigt die Luft durch Anziehung von Feinstaub, entzieht ihr Schadstoffe durch die Bindung von Kohlendioxid und stärkt damit letztlich auch die Biodiversität.

Mehr als eine einfache Gartenstadt

Die Stadt, so postuliert Fassbinder, sei ein Ort des bewussten Zusammenlebens von Menschen, Pflanzen und Tieren. Konkret bedeutet das, wie auch im Fall der Biotope City am Wienerberg, eines der letzten Projekte des 2016 verstorbenen Wiener Architekten Harry Glück: Anders als beim Konzept der Gartenstadt, bei dem durch geringere Baudichte Platz für Grün gelassen wird, holt man das Grün durch Dach- und Fassadenbepflanzungen in den Siedlungsraum.

Man schafft zudem versickerungsfähige Oberflächen zur Speicherung des Regenwassers (das dann verdunsten und kühlen kann) oder sorgt durch die Ausrichtung der Gebäude und andere Maßnahmen für eine bewusste Gestaltung des Windfeldes und damit für eine optimale Luftzirkulation. Stadt und Land sollen keine Gegensätze sein, vielmehr sei der urbane Raum lediglich eine bestimmte Ausprägungsform der Natur, lautet das Credo.

Fassbinder selbst war beratend am Projekt Wienerberg beteiligt und ist auch in die wissenschaftliche Begleitung des Vorhabens eingebunden. Federführend in dem interdisziplinär zusammengesetzten Team sind Forscher der Universität für Bodenkultur (Boku). Florian Reinwald vom Institut für Landschaftsplanung: „Ziel der wissenschaftlichen Begleitung ist es, die Erfahrungen auf andere Stadtentwicklungsprojekte übertragbar zu machen und eine Grundlage für eine erfolgreiche Realisierung zur Hand zu haben. Die Biotope City am Wienerberg ist somit ein Modell, anhand dessen eine Bauanleitung für die grüne Stadt der Zukunft erstellt wird.“

So hat sich während des Bauprozesses das Recycling von Abbruchmaterial ebenso bewährt wie das Sammeln und Verwenden von Regenwasser auf den Bauplätzen. Neue Lösungsansätze für Begrünungsmaßnahmen und Stoffkreisläufe wurden erstellt. Wesentliche Aspekte seien aber auch Partizipation und soziale Nachhaltigkeit, erklärt Reinwald. Ein Quartiersmanagement sorgt daher dafür, dass das Konzept der grünen Stadt von allen Bewohnerinnen und Bewohnern gemeinsam getragen wird.

Die Bepflanzungen, die sich teilweise auch auf den Balkonen befinden, müssen ja schließlich weiterhin gepflegt werden. „Besonders erfreulich ist, dass das Projekt zeigt, dass eine hohe Lebensqualität auch im geförderten Wohnbau möglich ist“, sagt der Experte. Weitere Biotope-City-Vorhaben in vergleichbarer Größenordnung sind derzeit aber nicht in Planung.

Die Bauanleitung ist im Internet bereits abrufbar:

Lexikon

www.boku.ac.at/rali/ilap/projekte/biotope-city
Biotope City ist ein städtebauliches Konzept, das von der Stadtplanerin Helga Fassbinder entworfen wurde und eine Durchdringung von urbanem und natürlichem Raum zur Norm erhebt.

Die Stadt soll Ausdrucksform der menschlichen Sehnsucht nach Naturnähe sein und auch darauf verweisen, dass der Mensch nicht außerhalb der Natur steht, sondern ein Teil von ihr ist. Seit 2004 gibt es die Stiftung Biotope City, die dieses Modell durch Öffentlichkeitsarbeit propagiert und dazu unter anderem das „Biotope City Journal“ als Onlinemedium herausgibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2021)

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