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Hier wütet ein fleischgewordener Onlinemob

BAD LUCK BANGING OR LOONY PORN
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In der Satire „Bad Luck Banging or Loony Porn“, die den Berlinale-Hauptpreis gewann, wird eine Lehrerin wegen eines Sexvideos an den Pranger gestellt: Ein Rundumschlag gegen Doppelmoral, ab Donnerstag im Kino.

Erlauben Sie einen kurzen Exkurs: Wir leben in einer Welt der Widersprüche. Das war schon immer so, könnte man argumentieren. Doch die Sichtbarkeit der sozialen Diskrepanzen und moralischen Ungereimtheiten unseres Gemeinwesens hat im Zeitalter des Internets und der Globalisierung zugenommen.

Geopolitische Stauchung hat die zuvor (zumindest oberflächlich) separierten Weltparzellen knarzend ineinandergleiten lassen. Zugleich hat die Netzkultur eine neue Ebene in den Gesellschaftsdiskurs eingezogen und eine digitale Metastruktur hochgezüchtet, deren Auswüchse mit der „realen“ Wirklichkeit verschmelzen – und diese bisweilen zu verschlingen drohen. Laut Ansicht des Kulturtheoretikers Klaus Theweleit hat der „elektronische Sprung“ der Gegenwart daher zur Ausbildung eines „Segment-Ichs“ geführt – einer psychischen Bewältigungsstrategie, die Unvereinbares normalisiert, indem sie es (bewusst oder unbewusst) in getrennte Schubladen steckt. Solange diese nicht miteinander in Berührung kommen, ist alles okay. Aber wenn doch . . .

Wenn doch, passiert vielleicht das, was im satirischen Berlinale-Gewinner „Bad Luck Banging or Loony Porn“ (ab Donnerstag im Kino) zugespitzt vorgeführt wird. In einer für das Arthaus-Kino ungewohnt verspielten Form, die nahtlos zwischen Alltagsrealismus und epischem (Leinwand-)Theater hin- und herpendelt. Noch immer erstaunt die Aktualität dieses Films, der im März bei der Digital-Edition der Berlinale den Hauptpreis gewonnen hat. Und obwohl er deutlich in seinem Entstehungsland Rumänien verankert ist, haben die wunden Punkte, in die er sticht, universellen Charakter – darin ist er „Parasite“, dem südkoreanischen Oscar-Sieger des Jahres 2020, ähnlich.

Porno aus der Ich-Perspektive

Stein des dramaturgischen Anstoßes ist ein Sexvideo. Anfangs wird es einem ohne Vorwarnung vor den Latz geknallt: Eine von anzüglichen Tändeleien und peinlichen Unterbrechungen erfüllte, unverblümt explizite Angelegenheit, gefilmt aus der pornografisch populären Ich-Perspektive. Kurz vor dem buchstäblichen Höhepunkt folgt die Titeleinblendung vor rosa Hintergrund und in zierlicher Schnörkelschrift. Außerdem steht da „Skizze für einen Heimatfilm“, darunter ein Zitat aus dem indischen Epos Mahabharata. Auf der Tonspur dudelt eine ulkige Schmuddelnummer von Boby Lapointe: Es wird also provokant und possenhaft, ironisch und versponnen.

Die anschließende Wanderung durch ein sommerlich getöntes Bukarest wirkt nach dem brüsken Auftakt wie ein Stilbruch: Gemächlich schwenkend folgt die Kamera einer Frau (langsam dämmert uns, dass es die Protagonistin des Videos ist), die alltäglichen Erledigungen nachgeht. Was beiläufig im Breitwandbild passiert, scheint dabei interessanter als ihr Stadtparcours. Aus dokumentarisch anmutenden Wimmelbildern voller geschäftiger MNS-Träger schält sich das sardonische Sittenbild einer kapitalistisch überwucherten Chaoswelt. Kleine Pointen skizzieren Sittenverrohung (nebenher wird ein Fußgänger niedergefahren), Geschichtsvergessenheit (Ceausescu-Altbauten bröckeln im Schatten riesiger Reklametafeln), Klassenkonflikt (eine Streiterei an der Supermarktkassa) und Kommerzexzess (ein viel zu kleiner Mann entsteigt einem viel zu großen Monstertruck). Der Frau ist das alles egal, denn sie hat ein Problem: Ihr Privatpornoclip ist online durchgesickert.

Bevor es zur absehbaren Hexenjagd kommt, schlägt der Film allerdings eine weitere Volte. Und kontrastiert in bissiger Agitprop-Manier banale, aber aufgeladene Begriffe mit entlarvenden Untertiteln und Archivaufnahmen („Kinder – politische Gefangene ihrer Eltern“), klopft dabei überstrapazierte Verbalpfeiler der (nicht nur) rumänischen Wertegemeinschaft auf Hohlstellen ab – ein Wörterbuch der Scheinheiligkeit. Erst danach startet die „Sitcom“, in der sich unsere Hauptfigur, eine Lehrerin (glaubhaft überfordert: Katia Pascariu), einem Tribunal aus Eltern und Kollegen stellen muss. Dieses geriert sich angesichts des unverschuldeten Anstandsbruchs wie eine überhitzte Kommentarsektion, die ihre ausgestellte moralische Überlegenheit ständig Lügen straft. Ein Schwall aus Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, linksliberalem Besserwissertum und Verschwörungsgefasel schwappt im Tonfall selbstgerechter Aufregung über die Angeprangerte, die vom Opfer zur Täterin stilisiert wird. Sie verteidigt sich gewissenhaft. Und bleibt doch Kanonenfutter für den Mob.

Wagemutig – und zugleich zugänglich

Mit diesem Triptychon, das den Sargnagel unserer Zeit punktgenau auf den Kopf trifft, ist dem produktiven rumänischen Filmemacher Radu Jude ein Coup gelungen. Bislang waren seine stilistisch vielseitigen, intellektuell überbordenden Arbeiten, die sich meist mit den (historischen) Verwerfungen seiner Heimat beschäftigten, zu speziell für Mehrheitsfähigkeit. Hier schafft Jude erstmals den Spagat zwischen formal wagemutiger Kulturkritik (vergleichbar mit der eines jungen Jean-Luc Godard) und zugänglicher, konventioneller Satire. Dass „Bad Luck Banging“ regulär in vielen Euro-Programmkinos läuft, grenzt an ein kleines Wunder; sein goldener Berlinale-Bär (und markanter Pandemiebezug) waren aber gewiss förderlich. Schade nur, dass der Film letztlich nicht über eine bloße Bestandsaufnahme hinausgeht, keine Antworten auf die von ihm angeklagten Missstände und Realitätsverwirrungen hat. Aus der grotesken Gewaltfantasie, in der sich seine aufgestaute Wut schließlich entlädt, spricht nur blanke Verzweiflung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2021)

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