Syrien

USA und Russland suchen Kompromisse im Syrien-Streit

Kafr Jales Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Idlib
Kafr Jales Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt IdlibImago
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Im UN-Sicherheitsrat gab es eine Einigung zur Fortführung von Hilfslieferungen in die letzte syrische Rebellenbastion Idlib. Nun sind weitere Schritte gefragt, denn Staatschef Assad will die Provinz erobern – was eine erneute Fluchtwelle nach Europa auslösen könnte.

Istanbul. Neues amerikanisches Engagement im Syrien-Konflikt hat den Kompromiss im UN-Sicherheitsrat ermöglicht, mit dem in letzter Minute eine humanitäre Katastrophe in Idlib verhindert worden ist: Washington und Moskau könnten trotz aller Probleme zusammenarbeiten, bilanzierte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield. UN-Hilfslieferungen in die letzte Rebellenprovinz können weitergehen, die Entscheidung sichert die Versorgung von über drei Millionen Menschen. Die Einigung zeigt, dass der Westen in Syrien nicht zur Zuschauerrolle verdammt ist. Doch die Zeit für weitere Schritte drängt: Russland und das syrische Regime wollen Idlib erobern. Das könnte eine neue Massenflucht nach Europa auslösen.

Seit Tagen greifen russische Kampfflugzeuge nun wieder verstärkt in Idlib an. Syrische Regierungstruppen beschießen die Provinz mit Artillerie, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte nach der UN-Entscheidung in New York meldete. Staatschef Baschar al-Assad will Idlib einnehmen, um seinen militärischen Sieg in zehn Jahren Bürgerkrieg zu vollenden. Russland hilft Assad, weil der Kreml den Syrien-Krieg so rasch wie möglich beenden will.

In der Frage der Hilfe für Idlib versuchte Russland, seine Position als UN-Vetomacht zu nutzen, um die internationale Gemeinschaft zur Zusammenarbeit mit Assad zu zwingen; in den vergangenen Jahren hatte Moskau mit Veto-Drohungen im Sicherheitsrat die Zahl der Grenzübergänge für die UN-Hilfe in syrischen Rebellengebieten von vier auf einen reduziert. Künftig sollte die Hilfe nach Moskauer Vorstellungen nur über Regierungsgebiete fließen. Das hätte Assad die Möglichkeit gegeben, Regierungsgegner zu erpressen.

Nach der Einigung von USA und Russland kurz vor Ablauf der Frist am Samstag kann die UN-Hilfe nun zumindest bis zum Jänner weiter über den Grenzübergang Bab al-Hawa von der Türkei aus direkt nach Idlib gebracht werden, danach wird neu beraten. Der Streit um Idlib wurde also vertagt, nicht gelöst. Die Frage ist, ob die amerikanisch-russische Suche nach Kompromissen in Syrien über die akute Nothilfe hinausgehen wird. Nach russischen Angaben sprechen Washington und Moskau über einen möglichen Abbau von Sanktionen gegen das Assad-Regime. Die USA haben Assad selbst, seine Frau und andere führende Vertreter der syrischen Elite mit Strafmaßnahmen belegt. Ohne politische Zugeständnisse der syrischen Führung dürfte es keine Erleichterung der Sanktionen geben. Zudem kontrollieren die USA zusammen mit kurdischen Verbündeten weite Teile Ostsyriens und auch dortige Ölquellen.

Washington hat also Druckmittel in der Hand, diese bisher aber nicht genutzt. Stattdessen verkündete der frühere US-Präsident Donald Trump den Abzug der Amerikaner aus Syrien und schwächte damit die Position seines Landes und des Westens. Trumps Nachfolger, Joe Biden, hat dies geändert. Die neue Syrien-Politik der USA sieht eine dauerhafte militärische Präsenz und mehr humanitäre Hilfe vor, wie Aaron Stein von der US-Denkfabrik FPRI kürzlich analysierte. Im März kündigten die USA die Zahlung von fast 600 Millionen Dollar für die Syrien-Hilfe an. Das amerikanische Engagement bei den Verhandlungen über die UN-Hilfe für Idlib gehört zu dieser neuen Politik.

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