Theater: Ariadne leidet für Space-Shuttle-Boss

Theater Ariadne leidet fuer
Theater Ariadne leidet fuer(c) APA/THEATER AN DER WIEN/WERNER K (THEATER AN DER WIEN/WERNER KMETI)
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Harry Kupfer deutet das Hybrid-Produkt aus der Werkstatt von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss neu - und holt die "Seitenblicke"-Gesellschaft auf die Bühne. Bertrand de Billy dirigiert meisterlich.

Einhelliger Jubel auch – und gerade – für das Regieteam, Harry Kupfer und Hans Schavernoch. Man hatte das Stück tatsächlich erlebt; obwohl nicht alles genau so aussah, wie Hugo von Hofmannsthal in seinem Libretto suggeriert hat. Darauf kommt es offenbar so genau nicht an. Wichtiger scheint, dass ein Produktionsteam die Handlung eines Stückes sinnfällig werden lässt, aber auch das, was diese Handlung vorantreibt, und die Theaterwelt für die 130 Minuten, die der Abend dauert, im Innersten zusammenhält.

Die Zeiten, in denen sich Opernbesucher von all den Dingen, die Harry Kupfer gern zusätzlich zur Geschichte noch sichtbar werden lässt, auf die Palme treiben ließen, sind offenbar vorbei.

Palmen werden diesmal nur per Space-Shuttle geliefert, wenn es gilt, die „wüste Insel“, die „Ariadne“ als Schauplatz dient, „auszustaffieren“. Der „jämmerliche Schauplatz“, wie der Haushofmeister (diesfalls der grandios-blasierte Michael Maerten) anmerkt – verschandelt diesmal nicht das Privattheater eines Palais, sondern einen Hangar, in dem dessen Besitzer Feste feiert.

Die Neureichen und ihre Pseudokultur

Neureiche, die Kulturereignisse als Staffage für ihre Angebereien nutzen, gibt es schließlich allezeit. Sie treiben sich heute, von Seitenblicke-Kameras dokumentiert, bei Festivals jeglicher Couleur herum und fadisieren sich bei hehren Tragödien genau so wie die Statisterie, die Kupfer als Partygäste des im Rollstuhl sitzenden Gastgebers zeigt, während Anne Schwanenwilms geradlinig sicher die Ariadne-Arien singt.

Die Neuproduktion bringt Aspekte der Urfassung ins Spiel, jener Mixtur aus Molières „Bürger als Edelmann“ und einer kleinen Antiken-Oper, bei der die Schauspieler tatsächlich auf der Opernszenerie zurückbleiben und die Vorgänge kommentieren.

Kupfers „Neudeutung“ endet konsequenterweise nicht in jener alle Distanz aufhebenden Theaterillusion, die Hofmannsthal für das Finale seiner Kompromiss-Fassung vorschwebte. Strauss entfernte dafür die späten Intermezzi der Commedia-dell'arte-Truppe.

Vielmehr sind die Komödianten bis zuletzt im Spiel. Bacchus kokettiert mit Zerbinetta, Ariadne liegt in den Armen des Harlekin. Ganz zuletzt aber absolviert der eitle Tenor – zum Leidwesen des Komponisten, dem alle Visionen geraubt sind und dem nach Abzug der Spesen nur die Geldscheine bleiben – ein Solo: Johan Botha (nur durch ein kurzes Blackout und einen leichten Kratzer gestört) verströmt seine Stimme so kraftvoll, wie man noch nie einen Bacchus gehört hat; nicht zuletzt, weil dieser von Anbeginn an der Rampe singen darf, und nicht, wie üblich, hinter der Szene beginnt.

Koloratursopran zu entdecken.

Er übertrumpft damit vokal seine Ariadne; nicht aber die phänomenale Zerbinetta von Mari Eriksmoen. Die junge Norwegerin ist die Entdeckung des Abends, singt mit prächtig entwickelter lyrischer Stimme, ohne sich von den aberwitzigen Koloraturen einschüchtern zu lassen. Selbst in extremen Lagen bleibt sie wortdeutlich. Ihr Dialog mit dem Komponisten im Vorspiel wird zum innigen Höhepunkt der Vorstellung, denn Heidi Brunner entgegnet mit ebensolcher vokalen Ausdruckskraft und leiht dem Ungestüm, aber auch der Ratlosigkeit des jungen Genies, das noch nicht gelernt hat, „sich in die Welt zu schicken“, berührende Töne.

Das Ensemble brilliert. Vom harmonischen Terzett der Nymphen bis zur Zerbinetta-Truppe funktioniert szenisch wie musikalisch alles wie am Schnürchen; nicht zuletzt dank Bertrand de Billys Einsatz am Dirigentenpult. Er holt aus den Musikanten des RSO Wien die ganze Klangfülle des Strauss-Orchesters, schmiegt sich aber im Parlando den Erfordernissen des Dialogs an.

Der wird damit verständlicher als je zuvor. Sänger wie Jochen Schmeckenbecher (Musiklehrer), Jürgen Sacher (Tanzmeister) oder Nikolai Borchev (Harlekin) erweisen sich als exzellente Sing-Schauspieler. Dass die Kleinteiligkeit der Regie zuletzt stagniert, führt zu einem etwas retardierten Finale. Dem Erfolg tut das keinen Abbruch.

Reprisen: 11., 14., 17., 20. und 22. Oktober

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2010)

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