Morgenglosse

Die Macht der Rede, der Menschen Blut zu reizen

Lina Beckmann (Richard, Herzog von Gloucester / Richard III.)
Lina Beckmann (Richard, Herzog von Gloucester / Richard III.) APA/BARBARA GINDL
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Kultur und Politik - die gehören zusammen. Besonders gilt das bei feierlichen Anlässen.

Die ersten Premieren bei den Salzburger Festspielen 2021 liegen nun bereits hinter uns. Dem libertinären Don Giovanni, diesem idealen Vertreter des rücksichtslosen Establishments, tat sich am Montag trotz anhaltend schönen Gesangs im Großen Festspielhaus am Ende wie gewohnt die Hölle auf. Am Tag zuvor war auf der Perner-Insel in Hallein Schurkenkönig Richard III. erwartungsgemäß auf dem verschlammten Schlachtfeld von Bosworth verreckt. Bei solchen Anlässen stellt sich immer wieder die Frage: Darf die Hochkultur denn politisch sein?

Na hoffentlich!, können wir dazu nur sagen. Das Theater zum Beispiel ist durch und durch eine öffentliche Angelegenheit, seit findige attische Dichter auf die Idee gekommen sind, all das, was die unbarmherzige Geschichte ihrem Gemeinwesen antat, all das auch, was die Stadt auszeichnete, vor versammeltem Volk dramatisch zu verarbeiten. Angeblich diente das tragische wie komische Programm nicht nur der Erbauung, sondern auch der Läuterung.

Solch schönes Spiel birgt eine Menge Einsicht. Das gilt zum Beispiel für die zwei Historien William Shakespeares, die Regisseurin Karin Henkel in Hallein zu einer tollen zeitgemäßen Melange mischte. An solchen Abenden kann man nicht nur sehen, was Figuren wie Richard, seine Mutter und sein Nachfolger Heinrich vom klarsichtigen Fürsten-Beobachter Niccolò Machiavelli gelernt haben, sondern was manch erfolgreicher Politiker unserer Zeit von Machiavelli, Shakespeare, Richard und Heinrich gelernt hat. Der Meisterkurs an Staatsräson steht uns in diesem Sommer in Salzburg noch bevor: „Maria Stuart“. Frauen-Power pur. Selbst wenn Friedrich Schiller damit der Titelheldin einen Gefallen tun wollte - Star dieser Polit-Show bleibt Elizabeth I. Im Vergleich zu ihr verblasst sogar Margaret Thatcher zur Randfigur.

Nicht nur auf Bühne spielt bei den Salzburger Festspielen Politik eine Rolle. In den besten Momenten werden sogar Eröffnungsreden zur Haupt- und Staatsaktion. Wie eben jetzt, als der deutsche Philosoph Julian Nida-Rümelin uns dumpfen Konsum-Sklaven die Leviten las. Assistiert wurde er dabei vom österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, der davor warnte, in der Corona-Krise allzu voreilig und naiv die Rückkehr zur Normalität zu erwarten. Er meinte wohl auch die Klimakrise mit. Er wollte damit wohl auch voreilige Machiavellisten mahnen. Offen bleibt die Frage, zu welcher Rolle unser weises Staatsoberhaupt mit solch launiger Rede in einem Shakespeare-Drama passen würde. Jaques aus „As You Like it"? Feste aus „Twelft Night"?

Angemessen wäre auch jener noble Römer, der bei einem äußerst feierlichen Anlass bescheiden behauptet, er habe nicht „die Macht der Rede, der Menschen Blut zu reizen". Die Reaktionen auf seine wohldurchdachten Worte strafen Mark Anton Lügen.

Gastkommentar zu den Festspielen

Die Festspiele nehmen „Maria Stuart“ prominent ins Programm. „Wo bleibt der Bezug zur Realität?“, fragt Otto Brusatti. [premium]

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