Spaziergang

Hitze in der Seestadt: Wurde auf den Schatten vergessen?

2015 zog Philipp Naderer-Puiu als einer der ersten Bewohner in die Seestadt.
2015 zog Philipp Naderer-Puiu als einer der ersten Bewohner in die Seestadt. Luiza Puiu
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Zu wenig Schatten, heißer Asphalt: Wenn der Sommer kommt, flammt auch die Kritik an der Seestadt auf. Bis nächstes Jahr will die Stadt nun aufrüsten. Ein mittäglicher Spaziergang durch Aspern.

Eine gewisse Ironie hat es dann doch: „Mutter der Bäume“ wurde die kenianische Umweltschützerin Wangari Maathai genannt, nach der in der Seestadt der wohl graueste Platz benannt ist.

Ein einzelner Baum steht in der Mitte des Platzes, zu klein, um schon richtigen Schatten zu spenden. 31 Grad hat es an diesem Tag, die von der Sonne aufgeheizten Granitbänke sind leer. „Das ist natürlich wie ein Elfmeter ohne Torwart: Wenn du genau diesen Platz nach einer Frau benennst, die Millionen Bäume gepflanzt hat. Vielleicht wäre da ein Park gescheiter gewesen“, sagt Philipp Naderer-Puiu. In der einen Hand einen Eiskaffee, die andere auf dem Griff des Kinderwagens, steht er im spärlichen Schatten, den die Häuserfront wirft. „Den Platz kannst du dir wirklich nicht ins Schmuckkästchen für eine klimafitte, moderne Stadtplanung legen.“

2015 zog der Software-Entwickler mit seiner Frau in die Seestadt, sie zählten damit zu den ersten Bewohnern des neuen Stadtteils. „Unser Haus war das zweite oder dritte, das bezogen wurde“, erzählt er. Auch in der Baugruppe waren sie dabei und seit 2012 in die Planung involviert.

Mittlerweile lebt Naderer-Puiu gern in der Seestadt, auch wenn das nicht immer so war. „Am ersten Tag hier wollte meine Frau am liebsten gleich wieder ausziehen. Alles vor der Haustüre war staubig und eine Baustelle“, sagt er. „Da sieht man aber, was sechs Jahre ausmachen können. Jetzt haben wir einen schattigen, begrünten Innenhof.“ Das sei das große Problem der Seestadt: Die Stadtentwicklung denke 20 Jahre voraus, die Bewohner seien aber im Hier und Jetzt. „Ich glaube, das ist ein Fehler, den viele machen, wenn sie in ein Neubaugebiet ziehen. Renderings sind trügerisch weit in der Zukunft angesiedelt. Da sind Bäume zu sehen, die noch sehr lang brauchen werden, bis sie so groß sind wie auf den Bildern.“

Wenn Naderer-Puiu durch die Seestadt spaziert, die er wie seine Westentasche kennt, kann er an jeder Ecke etwas zu den Plänen für den Stadtteil und über das Schöne und das Einsame am Leben an der U2-Endstation erzählen. Mit Kindern sei die Seestadt ein wunderbarer Ort: Die wenigen Autos und der See seien einzigartig in Wien.

Natürlich, im Sommer gebe es zwei Monate lang brütende Hitze. „Andererseits ist es im Winter, Herbst und Frühling angenehm. Im Juli und August ist der See aber nicht unbedingt der Ort, an dem man sich mittags gemütlich hinlegen kann. Aber er ist ja auch nicht als Ersatz für ein Freibad gedacht“, sagt Naderer-Puiu, als er über den See blickt. „Gerade mit kleinen Kindern ist der See eine Zone, die man am Nachmittag meidet. Die Bäume geben für die Beschattung nicht viel her.“


Planungen seit 2003. Auf dem Gelände des einstigen Flugfelds Aspern, das durch die Schließung des Flughafens 1977 seinen Zweck einbüßte, wurde der neue Stadtteil Aspern erbaut. Der Plan des Architekten Johannes Tovatt wurde ab 2003 entwickelt und 2007 vom Wiener Gemeinderat einstimmig beschlossen. „Vor ein paar Jahren hat man das Thema Hitze in der Stadt noch nicht so in den Fokus gestellt. Heute hätte wohl ein anderer Entwurf gewonnen“, sagt Naderer-Puiu dazu.

2028 soll das Großprojekt Seestadt abgeschlossen sein. „Die Seestadt wird in Etappen realisiert, jetzt ist etwas mehr als ein Drittel bebaut“, sagt Ute Schaller von der städtischen Projektplanung. Dass es etwa am Wangari-Maathai-Platz kaum Bepflanzung gibt, sei bewusst entschieden worden: „Dieser Bereich, der so kritisiert wird, ist die Fußgängerzone mit der meisten Frequenz in der ganzen Seestadt. Das ist eigentlich ein U-Bahn-Vorplatz, auch wenn man es ihm nicht gleich ansieht“, so Schaller. Deshalb müsse er für alle einfach zu passieren sein, etwa für Rollstuhlfahrer, Einsatzfahrzeuge und jene zur Anlieferung für Lokale.

Einer der gleich um die Ecke ansässigen Gastrobetriebe ist „Habibi & Hawara“, das vergangenes Wochenende einen Standort am Simone-de-Beauvoir-Platz eröffnete. „Uns geht es hier gut, weil wir ein klimatisiertes Restaurant sind. Draußen haben wir es uns mit Pflanzen selbst grün gemacht, den Asphalt spritzen wir regelmäßig ab, damit es kühler wird“, erzählt eine Sprecherin der Kette. „Man muss aber schon sagen: Viele erzählen, sie flüchten vor der Hitze zu uns.“

Vor allem die Diskussion um die Ecke rund um den Wangari-Maathai-Platz, der während der laufenden Bauarbeiten so etwas wie der Hauptplatz der Seestadt geworden ist, flammt mit den Hitzetagen auf. Die Aufregung kann Schaller nicht so recht verstehen: „Wenn man einen Häuserblock weiter geht, das dauert keine Minute, dann ist man am See mit vier Hektar Park.“ Aber: „Wir wollen überprüfen, ob es Möglichkeiten gibt, Pflanzen zu ergänzen oder schattenspendende Stadtmöbel zu integrieren. Wenn alles wie geplant läuft, soll der nächste Sommer in der Seestadt schon grüner und schattiger werden.“

Der gemeinnützige Verein See-Stadtgrün setzt sich für mehr Grünraum im Stadtteil ein und hat ein Konzept eingereicht, um den Wangari-Maathai-Platz umzugestalten – und den Wettbewerb von „Wien wird Wow“ gewonnen. Einen bepflanzten Ring am Platz sieht das Konzept vor. Doch seither sei von der Stadt keine Info mehr gekommen, wie es weitergehen soll. „Wir wollen uns jetzt absprechen, damit etwas vorangeht. Aber wir wissen überhaupt nicht, wo wir stehen, das ist enttäuschend“, sagt Obfrau Katarina Rimanóczy. Man prüfe derzeit, ob man mit dem Siegerprojekt in die Umsetzung gehen könne, heißt es von der Stadt. Die Veränderung in der Seestadt gehe langsam, sehr langsam voran, so Rimanóczy. Das gelte auch für den Eva-Mari-Mazzucco-Platz und den Simone-de-Beauvoir-Platz, die ebenso „Hitzeinseln“ seien, sagt Rimanóczy, die Entsiegelung fordert.

Dass die Seestadt nicht grün genug ist, will Schaller nicht gelten lassen: Im Seequartier seien fast 90 Bäume gepflanzt worden, überwiegend Platanen, die einmal große Kronen bekommen würden. Insgesamt seien in der Seestadt 1200 Bäume eingesetzt worden. „Das ist wirklich sehr viel im Vergleich zu anderen Stadtteilen. Aber dadurch, dass sie alle noch jung sind, braucht es ein bisschen Geduld.“


Eine Geldfrage? Die Sonne in der Seestadt steht nun hoch am Himmel, der Hannah-Arendt-Park ist wie leer gefegt. Schatten gibt es hier kaum. „Am Abend, wenn es kühler wird, ist der Park bummvoll“, sagt Naderer-Puiu. „Aber wenn ich jetzt im sonnigen Teil auf der Donauinsel bin, ist es ehrlicherweise genauso heiß. Bei uns zieht wenigstens der Wind durch.“

Auch der nahe liegende Hannah- Arendt-Platz ist menschenleer. Hier gibt es zwar Bäume, aber trotzdem keinen Schatten: „Die jungen Bäume geben bisher noch kaum Schatten. Aber laut den Plänen werden die Bäume große Kronen bekommen, die fast aneinanderstoßen werden. Natürlich könnte man noch zehn Bäume einsetzen, dann müsste man sie aber in ein paar Jahren wieder umschneiden, weil es zu eng wird“, so Naderer-Puiu.

Heutzutage einen Asphaltbelag zu machen, sei nicht bewohnerfreundlich, sagt er. „Man kann sich jetzt die Frage stellen, ob das damals im Wettbewerb so klimafreundlich gedacht wurde. Auch wenn es natürlich das Kriterium gibt, dass es ein Verkehrsweg ist.“

Immer wieder höre sie von Stadtentwicklern, dass die versiegelten Flächen für Märkte, Kirmessen oder Veranstaltungen notwendig seien, sagt Rimanóczy: „Diese Argumente haben wir in den vergangenen Jahren sowohl bei der Errichtung des Hannah-Arendt-Platzes als auch des Maria-Trapp-Platzes schon gehört und jetzt im Seeparkquartier hören wir es wieder. Diese Plätze liegen wenige Hundert Meter voneinander entfernt. Für mich ist die Frage: Wie viele Kirmes- und Marktplätze brauchen wir denn noch? Ich finde das übertrieben.“

Um billige Gestaltung gehe es wohl eher, vermutet Rimanóczy. „Asphalt ist pflegeleicht und relativ günstig, keine Frage. Aber die Liste der Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel ist zu lang, um flächendeckend große Fußgängerzonen damit zu versiegeln“, so die Vereinsobfrau. Es sei „vollkommen absurd“, an der Grüngestaltung eines Vorzeigeprojektes zu sparen. „Ich wünsche mir, dass die Stadt Wien mutig genug ist, schiefgelaufene Dinge zu korrigieren, aus Fehlentscheidungen zu lernen und sie in Chancen umdrehen. Und, dass die Stadt bei der Begrünung das Potenzial ihrer Bewohnerinnen und Bewohner erkennt, die sich für ihr Grätzel mit Herz einsetzen wollen.“


Abschied aus Aspern.
Als Bewohner wird Naderer-Puiu das wohl nicht mehr erleben, in zwei Jahren zieht er aus der Seestadt weg. Nicht wegen der Hitze, sondern weil er mit seiner Familie näher am Zentrum leben möchte.

Mit anderen Stadtteilen, die teilweise über Hunderte Jahre gewachsen sind, könne man die Seestadt nicht vergleichen. „Die Band Wanda besingt jetzt in ihrem neuen Lied Alterlaa. Wenn ich mich an Alterlaa in den 1990er-Jahren erinnere, wäre das damals wohl nicht passiert. Genau diese Zeit braucht jetzt auch die Seestadt, bis man sie besingen kann“, sagt Naderer-Puiu. Vielleicht brauche es noch 30 oder 50 Jahre, er ist sich aber sicher: „Dann wird die Seestadt ein gutes, funktionierendes Viertel sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2021)

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