Katastrophe

Erdbeben vertieft Trauma in Haiti

Reuters
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Mehr als 300 Tote, tausend Häuser sind zerstört. Das Naturdesaster verschärft die politische Krise.

Port-au-Prince. Es war 8.30 Uhr in der Früh, als die haitianische Erde bebte. Panisch rannten Tausende Menschen ins Freie, die Schockwellen waren noch bis nach Jamaika und Kuba zu spüren.
Am Tag danach, Sonntag, suchten die Hilfskräfte in den Trümmern nach Überlebenden. Die Zahl der Todesopfer wurde am Sonntagnachmittag mit mindestens 304 angegeben. Sie könnte aber steigen, denn Hunderte Menschen werden noch vermisst, wie der haitianische Zivilschutz mitteilte. 1800 Menschen sind verletzt. Rund tausend Häuser, sieben Kirchen, zwei Hotels und drei Schulen wurden zerstört.
Die Stadt Les Cayes, in der rund 126.000 Menschen leben, wurde laut Behördenangaben am härtesten getroffen. Das Epizentrum befand sich etwa 125 Kilometer westlich der haitianischen Hauptstadt, Port-au-Prince. Es kam zu mehreren Nachbeben.

„Dramatische Situation“

Die Naturkatastrophe weckt Erinnerungen an das verheerende Erdbeben im Jahr 2010, das je nach Quelle zwischen 100.000 und 300.000 Menschenleben gefordert hat. Das Land hat sich bis heute nicht vollends von dem Unglück erholt. Premier Ariel Henry sprach angesichts des Bebens von Samstagfrüh nun von einer „dramatischen Situation“ und rief zu Solidarität auf. Außerdem verkündete er einen dreißigtägigen Notstand.

US-Präsident Joe Biden sagte Haiti die Unterstützung der USA zu. „Die Vereinigten Staaten bleiben dem haitianischen Volk ein enger und beständiger Freund, und wir werden auch nach dieser Tragödie da sein“, hieß es in einer Mitteilung des US-Präsidenten am Sonntag. Die österreichische Hilfsorganisation Jugend Eine Welt bittet nach dem schweren Erdbeben in Haiti dringend um Spenden. Die langjährigen Partner, die Salesianer Don Boscos, leisten direkt in der stark betroffenen Stadt Les Cayes im Südwesten des Landes Soforthilfe. „Mit Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt wieder von einer schweren Katastrophe betroffen“, sagt Jugend-Eine-Welt-Gründer und Geschäftsführer Reinhard Heiserer. „Das Land leidet heute noch an den Folgen des Erdbebens von 2010 und ist höchst instabil.“

Bei der damaligen Katastrophe lag das Epizentrum des Erdbebens näher an der dicht besiedelten Hauptstadt, Port-au-Prince. Neben den Hunderttausenden Todesfällen wurden mehr als 300.000 Menschen verletzt. Mehr als eine Million verloren ihr Zuhause. Die Schäden durch das Beben wurden auf acht Milliarden US-Dollar (6,2 Milliarden Euro) geschätzt.

Laut der Landesdirektorin der Welthungerhilfe für Haiti, Annalisa Lombardo, ist noch immer nicht klar, wie viele Menschen vom Beben von Samstagfrüh betroffen sind. Es sei allerdings ersichtlich, dass es erhebliche Schäden an Gebäuden gebe. In Port-au-Prince, wo Lombardo sich aufhielt, hätten zwar die Wände ihres Hauses stark gewackelt. Größere Schäden habe das Erdbeben in der haitianischen Hauptstadt aber wohl nicht angerichtet.

Lombardo rechnete mit Problemen bei der Versorgung von Opfern. Der Weg aus Port-au-Prince führt durch eine Gegend, die von Gangs kontrolliert werde. Diese würden immer wieder auf vorbeifahrende Autos schießen. Auch sei eine Brücke beschädigt worden, die zur Versorgung der Menschen gebraucht werde.

Attentat noch nicht aufgeklärt

Das Unglück fällt in eine Zeit, in der die politische Lage in Haiti überaus angespannt ist. Am 8. Juli 2021 ermordeten ausländische Söldner in einer Kommandoaktion den amtierenden Präsidenten, Jovenel Moïse, in seiner Residenz in Port-au-Prince. Noch immer ist nicht restlos geklärt, wer hinter dem Attentat steckt.

Die Polizei nahm 44 Verdächtige fest, darunter zwölf haitianische Polizisten, 18 kolumbianische Söldner und zwei US-Bürger haitianischer Herkunft. Die Ermittler sehen Haitianer mit politischen Ambitionen und Verbindungen ins Ausland hinter dem Attentat auf den Präsidenten.
Die Aufklärung gestaltet sich schwierig: Der mit der Untersuchung des Mordes beauftragte Ermittlungsrichter gab am Freitag – nur wenige Tage nach seiner Einsetzung – den Fall wieder ab. Mathieu Chanlatte nannte in einem Schreiben an das Gericht erster Instanz in Port-au-Prince „persönliche Gründe“.

Das zuständige Gericht hatte nach Angaben aus Justizkreisen große Probleme, einen Ermittlungsrichter zu finden. Denn die infrage kommenden Juristen fürchten um ihre Sicherheit und die ihrer Familie. Der leitende Richter von Port-au-Prince forderte die Regierung auf, für den Schutz der Justiz zu garantieren sowie Leibwächter abzustellen.
Der Vorsitzende des haitianischen Richterverbands, Jean Wilner Morin, sagte der Nachrichtenagentur AFP, ihn wundere der Rückzieher von Chanlatte nicht. „Er hat immer noch dasselbe Auto, er hat keine zusätzlichen Sicherheitskräfte zu seiner Verfügung“, sagte Morin. In der unmittelbaren Umgebung des zuständigen Gerichts seien bewaffnete Banden aktiv. (zot/Reuters/APA)

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