Gastbeitrag

Sprechen wir mit den Taliban? Ja. Haben wir übrigens immer schon.

Auch Taliban-Kämpfer werden bei Ärzte ohne Grenzen behandelt, wenn sie die Waffen ablegen.
Auch Taliban-Kämpfer werden bei Ärzte ohne Grenzen behandelt, wenn sie die Waffen ablegen. APA/AFP/JAVED TANVEER
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Viele NGOs mussten ihren Einsatz in Afghanistan beenden. Ärzte ohne Grenzen und ein paar andere Organisationen sind geblieben. Wie das möglich ist, erklärt Österreich-Geschäftsführerin Laura Leyser anlässlich des heutigen Welttages der humanitären Hilfe.

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Die Bilder der letzten Tage, die uns über die Medien aus Afghanistan erreicht haben, waren dominiert von Taliban-Kämpfern, die die Kontrolle über die Provinzhauptstädte und Kabul übernahmen, dem Anblick westlicher Botschaften, die zusammenpacken, Menschen, die verzweifelt versuchen zu fliehen und NGOs, die ihren Einsatz beenden. Im Gegensatz zu diesen Szenen hat Ärzte ohne Grenzen und eine Handvoll anderer humanitärer Organisationen ihre Präsenz und Aktivitäten selbst auf dem Höhepunkt der Kämpfe aufrechterhalten und den Kranken und Verwundeten lebensrettende Hilfe geleistet.

Wie war das möglich?

Ärzte ohne Grenzen hat in den letzten Jahrzehnten in Afghanistan Erfolge und Misserfolge gehabt. Aber der Kern unseres Ansatzes ist derselbe geblieben: Überall da, wo wir in Krisengebieten im Einsatz sind, streben wir danach, die Zustimmung aller Konfliktparteien zu gewinnen. In Afghanistan gehörten dazu die Taliban, die internationalen Streitkräfte, die afghanische Nationalarmee und in einigen Fällen lokale Milizengruppen.

Neutralität und Unabhängigkeit

Unsere Prinzipien der Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die manchmal abstrakt erscheinen, bedeuten ganz konkret, dass wir immer mit allen Seiten sprechen, die Finanzierung durch Regierungen verweigern, uns klar identifizieren, um nicht mit anderen Gruppen verwechselt zu werden, und unsere Krankenhäuser zu waffenfreien Zonen machen. Wer auch immer in eine der Kliniken von Ärzte ohne Grenzen kommt, muss buchstäblich seine Waffe an der Tür lassen.

Bei der Arbeit in unseren Spitälern in Kundus oder Lashkar Gah etwa, haben wir auch in der Vergangenheit immer wieder internationalen, afghanischen und Taliban-Soldaten erklärt, dass wir niemals Patienten abweisen würden, sei es ein verwundeter Regierungssoldat, eine schwangere Frau, ein Autounfallopfer oder ein verwundeter Taliban-Kämpfer. Unsere Teams orientieren sich rein am medizinischen Bedarf. Wir arbeiten nach medizinischer Ethik, nicht danach, wer als Krimineller, Terrorist, Soldat oder Politiker gilt. Wir müssen oft Bewaffnete auffordern zu gehen und ohne ihre Waffen zurückzukommen, wenn sie das Krankenhaus besuchen wollen.

Wir verfolgen eine Politik der strikten Unabhängigkeit gegenüber jeder Institution oder Macht, sei sie politischer, religiöser, wirtschaftlicher oder anderer Natur, und lehnen es ab, von einer Regierung als außenpolitisches Instrument benutzt zu werden.

Krankenhaus in Kundus zerstört

Dieser Ansatz schützt uns nicht immer. 2015 etwa haben US-Spezialeinheiten unser Krankenhaus in Kundus bombardiert, nachdem die Provinz kurzzeitig von den Taliban übernommen worden war. Das hat uns einmal mehr die Grauzonen aufgezeigt, die es in solchen Konflikten gibt: Hilfe wird oftmals toleriert und akzeptiert, wenn sie die Legitimität des Staates stärkt, aber sie kann anfällig werden für Angriffe, wenn sie in ein Gebiet fällt, in dem ganze Gemeinschaften als Feinde gesehen werden.

Nach der Zerstörung unseres Krankenhauses hat Ärzte ohne Grenzen erneut mit allen Konfliktparteien verhandelt, um das Verständnis und die Sicherheit für unsere medizinischen Aktivitäten zu sichern. Wir haben das Trauma-Zentrum in Kunduz wieder aufgebaut und konnten es gerade in diesen Tagen, wo es dringendst benötigt wird, wieder eröffnen. Unsere Teams arbeiten derzeit außer in Kunduz auch in Helmand, Kandahar, Herat und Khost.

Ärzte ohne Grenzen verhandelt weiter mit allen Konfliktparteien. Nur so können unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Hilfe zu leisten, nur so können wir den Zugang zu Gesundheitsversorgung ermöglichen.

Die Zukunft Afghanistans ist ungewiss und unser Einsatz wird unter Druck bleiben. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden sich verändern und die Sicherheit unserer Teams und Patienten ist das oberste Gebot. All das ist nur möglich, wenn wir mit allen Konfliktparteien im Gespräch sind.

Die Autorin: Laura Leyser ist Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich.
Die Autorin: Laura Leyser ist Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich.Ärzte ohne Grenzen

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