Mein Samstag

Die verflixte letzte Meile

Imago
  • Drucken

Ich fahre sehr gern mit dem Zug. Man könnte sagen leidenschaftlich.

Die Vorteile gegenüber einer Autoanreise sind meiner Meinung nach enorm: Der Urlaub beginnt schon auf dem Bahnhof, wenn man sich wieder einmal eines dieser Hochglanzhefte gönnt, in denen sehr wenig drinsteht. Erst einmal im Zug, kann man sich ohne schlechtes Gewissen das erste Getränk gönnen, man muss ja nicht auf die Straße achten. Überhaupt ist die Aussicht viel besser, statt Leitplanken und Lärmschutzwänden geht es, je nach Richtung, an malerischen Vierkanthöfen oder spannenden Gesteinsformationen vorbei. Kommunikativer ist es sowieso, wenn die Gespräche nicht von Motorendröhnen und halbstündigem Verkehrsservice übertönt werden.

Umso größer war meine insgeheime Freude, als sich vor dem alljährlichen Mädelstrip herausstellte, dass kein einziges Auto zur Verfügung stand. Das erste Mal mit der ganzen Truppe im Zug, herrlich! (Vielleicht nicht ganz so herrlich für die Mitreisenden, aber wir haben uns bemüht.) Die Reise begann genau nach meinem Geschmack: Viel Lachen, Tratsch und die ersten zischenden Biere. Bis nach einiger Zeit der Gedanke aufkam, dass man sich nun vielleicht doch um den Transport ins Quartier kümmern sollte. Denn die schleichende S-Bahn, die statt acht Minuten Autofahrt noch eine zusätzliche Stunde Fahrtzeit plus 15 Minuten Fußmarsch bedeutete, wollte man sich dann doch nicht antun.

Ein Anruf beim örtlichen Taxiunternehmen – Problem gelöst? Nicht ganz. Denn das Taxiunternehmen habe um 19 Uhr Dienstschluss, erfuhr man. Anruf beim Konkurrenten: keine Antwort. Anruf im nächsten Ort: Anfahrt kostet extra, mehr als vier Zugtickets extra. Irgendwann gaben wir auf. Gerettet wurden wir dann vom Quartiergeber und seiner Familienkutsche.

Meine Zug-Euphorie war zum Glück nur kurzzeitig getrübt. Damit sie aber auf viele andere überspringt, muss sich – neues Klimaticket schön und gut – noch etwas ändern. Nämlich diese verflixte letzte Meile, die ohne eigenes Auto oft unüberwindbar ist.

E-Mails an:teresa.wirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Morgenglosse

1,2,3 - die Grünen sind ja doch dabei!

Das Klimaticket lässt die Grünen jubeln. Mehr als ein längst überfälliger Pflichtsieg ist das aber nicht.
railway station Traismauer, local train Traismauer Nieder�sterreich, Lower Austria Austria Donau
Verkehr

Grüne setzen Klimaticket durch

Das erste grüne Prestigeprojekt ist fixiert. Das österreichweite Ticket für den öffentlichen Verkehr kommt. Auch Wiens SPÖ-Bürgermeister Ludwig willigte ein. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hat hoch gepokert – und gewonnen.
Nicht immer einer Meinung, aber dieselbe Vision: Jürgen Czernohorszky und Helga Kromp-Kolb.
Wiener Doppel

"Die Vorstellung, jeder muss sich ein E-Auto kaufen, ist unsinnig"

Ist Wien für den Klimawandel gerüstet? Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb über den Lobautunnel und überflüssige Straßen, einen sabotierenden Bundeskanzler und warum die freie Marktwirtschaft aus ihrer Sicht ausgedient hat.
Bahnverkehr

Westbahn beginnt Klimaticket-Ära mit neuen Zügen und Ziel München

Mit "energieoptimaler" KISS 3-Flotte wird auf 58 Fahrtenerhöht - Westbahn-Miteigentümer Haselsteiner mit "Hoffnung undVision" für Destinationen Bregenz und Zürich

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.