Film

Die Gangster des alten Wien

Aufzeichnungen aus der Unterwelt
Aufzeichnungen aus der UnterweltStadtkino
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In „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ erzählen Wienerliedsänger Kurt Girk und der berüchtigte Strolch Alois Schmutzer von kleinen Momenten des Glücks zwischen Hinterzimmer, Häfn und Heurigem.

Petzner-Masl, Woitschkerl-Buam, Korschinek-Vikerl, Netzwerka Pepi. Is Ihna des a Begriff?“, fragt Helmut Qualtinger in „Der Herr Karl“. Ihm und dem Autor Carl Merz war es Gewissheit, dass es große Persönlichkeiten beim Heurigen gibt. Der 2019 verstorbene Sänger Kurt Girk war eine ebensolche. Bei allem, was er jemals zum Broterwerb unternahm – er war etwa Schneiderlehrling beim ehemaligen Diener von Schmalztenor Richard Tauber, und er fuhr als „Schrott-Girk“ mit dem Pferdewagen durch halb Wien –, sang er verlässlich ein paar Abende wöchentlich beim Heurigen.

Er lernte von den alten Straßensängern, wie er im Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ (jetzt im Kino) sagt. „Das waren Kanonen, Genies. Ich bin mit ihnen mitg'rennt als Bua. Habe die Groschen eingesammelt, die die Leute aus dem Fenster auf die Gasse g'schmissen haben.“ Dann sieht man ihn in Action neben Ziehharmonikaspieler Rudi Luksch und seinem Co-Sänger Gerhard Heger. „Wann die Welt amoi stirbt“ heißt das Lied. „Das war eine traurige Zeit, die Nachkriegszeit, aber wir waren lustig.“

Larmoyanz und Wiener Schmäh paaren sich auch in seinen Aussagen. Girk hat nämlich ein bisserl ein patschertes Leben geführt. Er war für viele Jahre in der Strafanstalt Karlau in Verwahrung. Aber dort habe er alle „auf leiwand“ gehabt, sagte er in einem Gespräch mit der „Presse“ 2012. Sogar eine Malakofftorte hätte er einmal „gebochn“ mit ertauschten Lebensmitteln. Von melancholischerer Disposition ist sein alter Spezi, der Meidlinger Gewalttäter Alois Schmutzer. Er und sein später erschossener Bruder Norbert repräsentieren einen Teil der Wiener Unterwelt, den es so schon lang nicht mehr gibt. Raufer, deren Ehrenkodex darin bestand, keine Waffen mit sich zu führen. Die Regisseure Tizza Covi und Rainer Frimmel verließen sich zu Recht auf die Kraft der Oral History, die die beiden Schlawiner, hier in striktem Schwarz-Weiß gefilmt, produzierten. Die Sprache, die die beiden und die wenigen anderen hier Involvierten sprechen, gibt es in dieser Farbigkeit kaum noch. Das ist kein Wenzel-Lüdecke-Deutsch, keine durchs Fernsehen verdorbene Kunstsprache.

Nicht genug Unbescholtene in Meidling

Wie es aussieht, mussten beide jahrelang unschuldig im Häfn dunsten. Eingetunkt von einem Deutschen namens Gustav, der „eine Brieftaubn machte“, also einen Geldbriefträger überfallen hat. Er nannte Schmutzer als Anstifter, obwohl dieser glaubwürdig sagt, ihm würde eine Formulierung wie „Moch a Brieftaubn“ niemals über die Lippen kommen. Statt Freispruch gab es zehn Jahre für ihn. Girk wurde als Aufpasser denunziert. Dafür gab es immerhin 56 Monate. Die Polizei hatte einen Pik auf sie. Zwei Polizisten hätten laut Girk und Schmutzer falsch ausgesagt. Dagegen konnte man wenig machen, wie die Schwester von Schmutzer sagt: „Da hätt ma braucht sieben Frankisten (Unbescholtene), die hat's in Meidling aber ned gegeben.“

Was haben sich die Schmutzer-Buam zuschulden kommen lassen? Sie haben das illegale Kartenspiel Stoß praktiziert und sind „nur durch händische Gewalt“ aufgefallen. Und dann gab es dennoch mal eine spektakuläre Schießerei. Quasi unter Freunden. Über einen dabei zu Tode Gekommenen namens Stanka sagt Girk so herrlich widersprüchlich: „Das war ein aufstrebender Strawanzer, ein fescher Bursch. Ich hab ihm einmal eine Tetschn geben. Ich hob mi ned g'fürcht vor dem Trottel.“ Stanka wollte die Kontrolle über das einträgliche Stoßspiel in Meidling übernehmen. Dagegen hatten die Schmutzer-Buam etwas. Stanka rückte schwer bewaffnet mit seinem Komplizen Anton Östreicher aus, der bald mit zwei Kopfschüssen daniederlag und eine Kugel ausspuckte. Stanka starb, Schmutzer brachte Östreicher ins Spital.

In der Reminiszenz von Schmutzer und Girk taucht das alte, graue Wien auf, wie es etwa 1978 auch vom kanadischen Regisseur John Cook in „Schwitzkasten“ genial eingefangen wurde. Auch Schmutzer und Girk sind letztlich tragische Charaktere, die sich aber wenigstens zeitweilig aus sozialer Determiniertheit befreien können. Sie hatten auch in großer Bedrängnis ihre Momente persönlichen Triumphs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2021)

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