Literatur

Milieustudie mit Sittich

Mit seinen „Kleinstadtfarben“ erweist sich Martin Becker als empathischer Erzähler.

Der im Jahr 1982 geborene, in Köln lebende Martin Becker hat mit dem vierzigjährigen, unter Ischiasqualen und mit 130 Kilogramm bei einem Meter fünfundsechzig unter seiner „ganzen Körperlichkeit“ sowie vielen Ängsten leidenden Bezirksdienstbeamten Peter Pinscher – die Mama darf ihn Peterle nennen – eine facettenreiche Figur geschaffen, der man auf seiner biografischen Provinzerkundung von der ersten bis zur letzten Zeile gerne folgt. Ausgerechnet an seinen Heimatort, die Kleinstadt Mündendorf, wurde der den Namen einer Hunderasse tragende Protagonist strafversetzt, da er einem Nazigewäsch krakeelenden Rollstuhlfahrer die Ventile aus den Rädern geschraubt hat.

Becker schreibt eine empathievolle Prosa über die Welt der sogenannten kleinen Leute, „deren Schicksal es von Generation zu Generation war, ständig hart zu malochen und ständig knapp bei Kasse zu sein und ständig zu sagen, dass das richtige Leben doch erst mit der Rente beginnt“, die aber niemand aus seiner Familie richtig erlebte. Pinschers Vater ist schon tot, seine Mutter nach einem Hirnschlag beinah. Es ist eine lange Verlustgeschichte, die Becker mit seinem in Pinschers Kindheit vor Weihnachten entflohenen Wellensittich – diese Vögel werden zu einem der zarten Leitmotive des Romans – beginnen lässt. Sogar das hart erarbeitete und mit Krediten mühsam finanzierte Reihenhaus hat er schon verkauft, obwohl er das seiner kranken Mama nicht zu sagen wagt, die bis zu ihrem Tod hofft, dorthin zurückkehren zu dürfen. Auch beruflich ist der kettenrauchende, offensichtlich maßlose Frustesser und -trinker, aus Anstrengung und Angst schnell schwitzende Pinscher als Todesartenermittler gewissermaßen im Epizentrum menschlichen Elends tätig.

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