Wort der Woche

Nubischer Kolonialimus

Das antike Reich Nubien liefert ein Beispiel dafür, dass es auf dem afrikanischen Kontinent schon vor Jahrtausenden hausgemachten Kolonialismus gab.

Wussten Sie, dass sich einst in Nubien dem römischen Kaiser Augustus ein Heer entgegenstellte, das angeführt wurde von „der Königin Kandake, einem mannhaften Weib“? So berichtet es jedenfalls Strabo im 17. Buch seiner Geographica. Dieses Faktum, das der Bonner Archäologe Francis Breyer an den Anfang seines Buches „Schwarze Pharaonen“ (238 S., C.H. Beck, 18,50 €)stellt, illustriert aufs Beste, dass wir aus unserer Schulbildung nur ein lückenhaftes Bild der Antike haben. Gelernt haben wir so manches über Literatur, Philosophie, Politik und Kriege der antiken Hochkulturen. Dass diese in ein vielfältiges Panoptikum an Land- und Völkerschaften eingebettet waren, ist uns aber nicht so bewusst.

Das liegt auch daran, dass man wesentlich weniger über sie weiß. So z. B. auch über Nubien, das Gebiet südlich von Ägypten entlang des Nils. Doch das Wissen vermehrt sich – auch durch das Österreichische Archäologische Institut (ÖAI), das in Ägypten und im Sudan große Forschungsprojekte betreibt.

Das Eintauchen in die fremde Welt der Nubier mit ihrer komplizierten Geschichte verschiedener Regionen, Lebensweisen und Königreiche (Kerma, Kusch, Napata etc.) kann faszinieren. Die meiste Zeit war Ägypten die absolute Führungsmacht, die die Rohstoffe ihres „Hinterhofs“ ausbeutete – neben Gold und Gesteinen auch Luxusgüter wie Elfenbein, Ebenholz, Straußeneier, Leopardenfelle oder Giraffenschwänze, und auch Arbeitskräfte (als Dienstboten, Söldner und Sklaven). „Es herrschte ein ähnliches Gefälle wie im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts: Südfrüchte gegen Korn, Gold gegen Glasperlen“, resümiert Breyer. Doch dann gab es auch eine Phase, in der nubische Herrscher plötzlich die Macht in Ägypten übernahmen – in Form der 25. Dynastie (um 700 v. Chr.). Das war aber nicht von Dauer. Nubien erlebte unter meroitischen Herrschern (unter ihnen vier weibliche) noch eine Hochblüte, bis das Land zuerst christianisiert und später islamisiert wurde – was eine weitere eigenständige Entwicklung verhinderte.

Dennoch ist das nubische Erbe bis heute lebendig – „wenn auch vielfach übertüncht“, so Breyer: Die Lebensgrundlagen blieben von den zahlreichen Umwälzungen fast unberührt, ebenso viele Gebräuche oder die Bauweise von Siedlungen. Und auch von den alten Sprachen der Nubier gibt es bleibende Spuren. Ein Wort aus dem Meroitischen erlangte sogar weltweite Bedeutung: „Abore“ (für Elefant oder Elfenbein) lebt im französischen „ivoire“ und im englischen „ivory“ weiter.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2021)

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