Leitartikel

Überall nur Schizophrene? Der Jo-Jo-Effekt im Klimaschutz

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Kaum steigt der Strompreis, stellen Politiker ihre grünen Pläne beiseite und legen den Rückwärtsgang ein. Über die Nebenwirkungen einer Radikalkur.

Das ging schneller als gedacht. Gerade erst meldeten erste Unternehmen in Europa, dass die rapide steigenden Energiepreise ihr Geschäft zunichtemachen, und schon rückte die Politik aus, um den Brand zu löschen. Keine Frage: Wenn Gas heute dreimal so viel und Strom fast doppelt so viel kostet wie vor einem Jahr, dann ist das ein Problem. Nicht nur für den Aufschwung auf dem Kontinent, sondern vor allem auch für viele Menschen.

Verständlich also, dass die Regierungen von Madrid bis Athen alle Register ziehen, um den Preisschub zu stoppen. Aber was tun, wenn im Norden Windrädern der Wind fehlt und Russland zu wenig Gas liefert? Spaniens Antwort: Die Gewinne der Energieversorger werden „umgeleitet“, der Gaspreis künstlich begrenzt. Ganz ähnliche Pläne hat Rumänien. In Deutschland verspricht der Verkehrsminister, Alexander Scheuer (CSU), potenziellen Wählern unterdessen vorsorglich eine Spritpreisbremse. „Ab zwei Euro muss die Politik eingreifen“, ließ er wissen. Der italienische Regierungschef Mario „Whatever it takes“ Draghi nimmt heuer 4,7 Milliarden Euro in die Hand, um den Italienern ihre immer höheren Stromrechnung zu bezahlen. Ganz Europa beschwert sich ungeniert, wo denn das Gas bleibt, das die Russen versprochen haben – und ist damit nicht allein. Auch US-Präsident Joe Biden scheut höhere Energierechnungen für seine Wähler so sehr, dass er Saudiarabien und den Rest der Opec im August aufforderte, endlich wieder mehr Öl aus der Erde zu holen.



Aber Moment! Sind das nicht dieselben Politiker und Weltmächte, die sich nur wenige Tage zuvor strengstem Klimaschutz verschrieben haben und Erdöl und Gas am liebsten heute statt morgen verbieten wollten? Ein wenig erinnern diese erratischen Handlungen an Übergewichtige, die sich am Vormittag gemeinsam auf eine Nulldiät einschwören, nur um bei der ersten Heißhungerattacke die Konditorei zu plündern und zu jammern, dass die Punschkrapfen teurer geworden sind.

Die scheinbare Schizophrenie der politisch Verantwortlichen hat ihre Ursachen im Aufbau der Energiewende selbst. Die Ziele sind allesamt erstrebenswert (maximal 1,5 Grad Erwärmung, hundert Prozent Ökostrom bis 2030). Aber insgeheim zweifelt selbst der „grüne“ Teil der Energiebranche daran, dass sie zu erreichen sind. Diese Diskrepanz hält nicht nur Bürger auf Distanz zur Energiewende, auch Politiker tun wenig, um die Kluft zu überbrücken. Dass der Strompreis heute so hoch ist, liegt aber nicht daran, dass die Staaten bisher untätig gewesen wären. Im Gegenteil: Ein guter Teil des Preisanstiegs ist hausgemacht und rührt daher, dass die Politiker scheinbar auf Gas und Bremse gleichzeitig stehen.

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