Im Kino

Ein Umzug mit Spinne und Spinnerten

Das Maedchen und die Spinne
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In ihrem Film „Das Mädchen und die Spinne“ spüren die Schweizer Regie-Zwillinge Ramon und Silvan Zürcher zwischenmenschlichen Irritationen nach: eigenwillig und poetisch.

Spannung im Film, das kann bedeuten: Suspense. Eine tickende Bombe unter dem Frühstückstisch, von der nur der Zuschauer weiß, die arglosen Frühstücker aber nichts ahnen (um ein Beispiel zu bemühen, mit dem Alfred Hitchcock einmal seine Kunst erklärt hat). Man kann Spannung aber auch ganz anders auf die Leinwand bringen. Etwa so, wie es die Schweizer Zwillingsbrüder Ramon und Silvan Zürcher in ihrem neuen Film „Das Mädchen und die Spinne“ machen: als ein fein tariertes, straff gezogenes Netz aus Ausgesprochenem und Unausgesprochenem, Blicken und Taten, Bildern und Klängen, skurril und rätselhaft. Als (An-)Spannung, die der Zuseher fühlt, ohne den Hintergrund genau zu kennen – während die Figuren mehr wissen, als sie preisgeben.

Vielleicht auch, weil sie, was zwischenmenschliche Begegnungen angeht, in gezügelten Abläufen feststecken. Eine junge Frau zieht um: Das ist die inhaltliche Ausgangslage. Lisa (Liliane Amuat) siedelt in ihre erste eigene Wohnung, raus aus der WG mit ihrer Freundin Mara (Henriette Confurius). Es ist kein ganz schmerzloser Abschied und Neubeginn, der hier über zwei Tage und zwei Schauplätze geschildert wird, vom Möbelaufbau in der neuen bis zur Abschiedsparty und dem Kistenpacken in der alten Wohnung. Helfer und Haustiere wuseln durch die Zimmer, bohren, hämmern, schleifen, schnappen sich Gegenstände und lassen sie fallen, werden voneinander angezogen und abgestoßen, stehen zur Stelle und im Weg herum: In präzise getakteten, eng gesteckten Bildern zeigt sich hier eine strikte, durchwegs gewitzte Choreografie.

Eifer- und Sehnsucht liegen in der Luft. Aber keiner scheint sagen zu können, was er wirklich sagen will. Wohlgeformte, mit einer gewissen Künstlichkeit vorgetragene Sätze verletzen mehr, als dass sie trösten. Wie von magnetischen Kräften gesteuert, schwirren die Figuren – viele ein bisserl spinnert, alle ein bisserl angespannt – durch die Wohnungen. Mara aber will aus der Bahn brechen. Gezeichnet mit Läsionen, die sie stolz trägt (Fieberblase, blutiger Fingernagel, Cut auf der Stirn), schaut sie dem Treiben zu, ohne anzupacken. Nicht nur, weil sie Freude an den Irritationen im Leben hat – so schwärmt sie von der Schönheit einer „zerschossenen“ PDF-Datei, die aus dem Grundriss der Wohnung einen Buchstabensalat gemacht hat –, sondern offensichtlich auch, weil sie über Lisas Auszug nicht allzu glücklich ist.

Wo kommen all die Federn her?

Zerbricht hier gerade eine Freundschaft? Keimt im Nebenraum dafür eine neue Romanze? Das sind große Konzepte. Die Regisseure lassen die Uneindeutigkeiten des Lebens uneindeutig sein und zoomen in ihrem zweiten Spielfilm (nach „Das merkwürdige Kätzchen“), der Teil einer Trilogie über menschliches Zusammensein werden soll, lieber an die kleinen Details heran: an einen Buntstift, der in einen Becher voller Rotwein gebohrt wird. An eine blaue Perücke, die von Kopf zu Kopf wandert. An einen Presslufthammer, der draußen den Asphalt aufbricht. Oder die Spinne, die Lisa und Mara einander in einem Moment der Zärtlichkeit über die Hände krabbeln lassen.

Irgendwo klimpert jemand die Melodie von „Voyage, Voyage“ am Klavier. Und überall tauchen irgendwann die Daunen einer kaputten Jacke auf. Es sind zarte, aber markante Irritationsbilder, die dem Banalen stets etwas leicht Unheimliches abgewinnen.

In einer fantastisch angehauchten nächtlichen Großstadtgewitter-Szene übersteigern die Zürchers ihre symbolisch flirrende Ästhetik sogar ins Schaurig-Verträumte. Manche Bomben gehen am Ende hoch, manche ticken weiter. Eigenwilliges, poetisches Anspannungskino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2021)

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