Eine Netflix-Produktion mit Oscar-Chancen: „Passing“ erzählt von einer Schwarzen, die sich als Weiße ausgibt. Doch das wahre Drama spielt sich woanders ab.
Eine Frau auf der Straße, schön, elegant, verführerisch volle Lippen. Stolz könnte sie durch Manhattan gehen und die Blicke auf sich ziehen, denkt man sich. Stattdessen blickt sie mit gesenktem Antlitz wie gehetzt um sich. Die obere Hälfte ihres Gesichts hat sie tief durch ihren Hut beschattet. Woher diese Angst? Kein Ursache lässt sich ausmachen, im Spielzeuggeschäft wird sie höflichst bedient, ebenso im prunkvollen Kaffeehaus.
Das ist Irene, eine der zwei Hauptfiguren im Film „Seitenwechsel“ („Passing“ im Original), der bei den kommenden Oscars wohl eine große Rolle spielen dürfte. Seine künstlerische Qualität würde nie erahnen lassen, dass es ein Regiedebüt ist. Die bisher als Schauspielerin bekannte 39-jährige Britin Rebecca Maria Hall hat einen Roman der sogenannten Harlem Renaissance verfilmt, einer afroamerikanischen Kunstbewegung der 1920er-Jahre: „Passing“ von Nella Larsen handelt von zwei afroamerikanischen Frauen, deren Haut so hell ist, dass sie nicht unbedingt sofort als Schwarze gesehen werden.