In den1930ern vor dem Verfall gerettet: die mittelalterliche Klosteranlage auf der kleinen Hebrideninsel Iona.
Schottland

Iona, heiliges Eiland

Die Schotten haben den Weltuntergang verhindert. Nicht auf der Klimakonferenz in Glasgow, sondern auf der kleinen Atlantikinsel Iona. Dort fanden sie, was für die Rettung nötig war – einen flachen Stein, Legenden und eine Abtei.

Als wüsste sie, dass der Besuch eines besonderen Orts einen besonderen Auftakt verdient, zieht die schottische Morgensonne eine Schicht Goldstaub über die Welt. Alles glitzert – der Himmel, der cremeweiße Muschelstrand und auch das türkisfarbene Meer, das in kleinen Wellen ans Ufer der Insel schwappt. „You must have Saint Peter on your side“, ruft der Kapitän den Passagieren zu, während er seine Fähre gegen die starke Strömung von Mull nach Iona hinübersteuert. In Schottland ist also auch Petrus fürs Wetter verantwortlich, und offenbar belohnt er Reisende für ihre Beharrlichkeit mit Sonnenschein wie in der Südsee.

Landkarte des Glaubens

Ausdauer war auch nötig, denn einfach zu erreichen ist Iona, die zu den Inneren Hebriden gehört, nicht. Hav bred ey – „Inseln am Rande des Meeres“ haben die Wikinger sie genannt. Auf einer Länge von 200 Kilometern liegen die rund 500 Inseln wie ein gigantischer Schutzwall gegen die Wellen des Atlantiks vor den Gestaden Schottlands. Von Glasgow aus fährt man erst an die Westküste, setzt vom alten Wollhandelshafen Oban mit der Fähre nach Mull über, nimmt dort den Bus, der einen bis ans andere Ende der Insel bringt, von wo dann eine weitere Fähre endlich Iona ansteuert, den heiligsten Ort des Landes.

Nur zwei Kilometer breit und fünf lang ist die Insel, die man auf Google Maps nicht so leicht findet. Auf der Landkarte des Glaubens ist sie hingegen als Jerusalem des Nordens markiert, als Startpunkt der Christianisierung Schottlands, sogar ganz Nordeuropas. Zuständig für diese groß angelegte Missionierungsaktion war der irische Mönch Columban, der 563 n. Chr. nach Iona kam, dort eine Abtei gründete und gleich mit der Verbreitung der Evangelien loslegte.

Bis nach Skandinavien, Russland und in die Schweiz gelangten seine Missionare. Die daheimgebliebenen Mitbrüder erfanden derweil das Keltenkreuz. Das originale St. John's Cross, das erste keltische Kreuz, kann im Iona Heritage Centre neben der Abtei besichtigt werden. Es wurde 750 n. Chr. errichtet. Seine Arme waren erst so lang, dass sie bald nach der Aufstellung des Kreuzes abbrachen. Das Konstrukt wurde stabilisiert, indem man einen stützenden Steinkreis um das Zentrum herum befestigte. Ein Design, das in ganz Schottland und Irland auch deshalb weithin kopiert wurde, weil es mehr Fläche für prächtige Dekorationen bot.

Wiederaufgebaute Abtei

Ihr Meisterwerk aber schufen Columbans Mönche nicht mit dem Keltenkreuz, sondern – sorry, liebe Iren – mit dem legendären Book of Kells. Mit ihren maßlos schönen Illustrationen der vier Evangelien schenkten die kunstfertigen wie frommen Glaubensbrüder der Welt eines der bedeutendsten mittelalterlichen Bücher. Heute beeindruckt dieser Kunstschatz Besucher des Dubliner Trinity College, weil er zum Schutz vor plündernden Wikingern von Iona nach Irland gebracht worden war. Nachdem schließlich auch die letzten Mönche vor dem Horror der brutalen Überfälle kapituliert und die Insel verlassen hatten, wurde es für Jahrhunderte still um Iona. Abgesehen von einem kurzen Wiederaufblühen des Klosterlebens, das mit der englischen Reformation im 16. Jahrhundert endete, kehrte das religiöse Leben erst mit George MacLeod zurück. Der charismatische schottische Pfarrer und Gründer der heute weltweit bekannten Iona-Gemeinschaft baute die verfallene Abtei 1937 mit einigen Mitstreitern wieder auf.

Schlicht und spürbar in ihrer Kraft: die wiedererrichtete Iona Abbey.
Schlicht und spürbar in ihrer Kraft: die wiedererrichtete Iona Abbey.(c) quint-und-quer

Die wuchtigen Granitmauern des Kirchennachbaus schützen einen Innenraum, von dessen schlichter Schönheit Kraft ausgeht. „Was das Auge füllt, erfüllt auch das Herz“, lautet eine gälische Redensart, und mit jedem Blick auf hohe Säulen, flechtengelbes Gemäuer, hölzerne Dachbalken und den wundervollen Marmoraltar dringt die Besinnlichkeit des Orts tatsächlich tief in die Besucher ein. Wer so lang verweilt, bis die äußere Ruhe zur inneren geworden ist, der begreift, dass Iona nicht nur ein heiliger, sondern auch ein heilkräftiger Ort ist.

Auferstehung im Trockenen

Selbst der Reilig Odhrain, der Friedhof des Klosters, verspricht eine wundersame Wirkung. Als Begräbnisstätte müsste er deshalb noch heute hoch im Kurs stehen. Laut Legende wird beim Untergang der Welt nämlich alles im Meer versinken, nur Iona nicht, und wer will schon pudelnass vor dem Jüngsten Gericht erscheinen? Mit der Aussicht auf eine trockene Auferstehung ließen sich mehr als 60 schottische, irische und nordische Könige auf Ionas Friedhof bestatten, darunter auch Duncan und Macbeth – das Opfer und sein Mörder. Nachzulesen bei Shakespeare, aber leider nicht mehr zu beweisen, denn ihre Gräber sind längst verschwunden.

Besucher, die sich auffallend lang auf dem Reilig Odhrain aufhalten, prüfende Blicke über die Gräber schweifen lassen, Steine aufheben und fotografieren, suchen auch nicht nach Macbeth. Fans von John Smith, dem hochverehrten Vorsitzenden der Labour-Partei, dürften sie ebenfalls nicht sein.

Das Ziel der Suchenden ist keine Grabstelle, sondern ein flacher Stein. Auf ihm haben Generationen von Pilgern einen Kiesel dreimal im Uhrzeigersinn gedreht. Wenn die Mitte des Steins durchgerieben und ein Loch entstanden ist, endet die Welt, heißt es. Durch die Drehung des Kiesels ist eine Vertiefung entstanden, allerdings nur eine ganz leichte. Selbst ein bisschen am Weltuntergang drehen können Besucher heute nicht mehr, denn der Clach brath, der Urteilsstein, musste aus konservatorischen Gründen in das Iona-Abbey-Museum umziehen. Eine findige Art, das Schicksal aus dem Verkehr zu ziehen und das Ende aller Zeiten unerreichbar zu machen. Macbeth wird seine Auferstehung absagen müssen.

INSELLAGE

Iona: kleine Insel in den Inneren Hebriden, nur 130 ständige EW

Übernachten u. a.: Originell in den Iona Pods, kleinen Glamping-Häuschen, www.ionapods.com.
Gemütlich im Argyll Hotel, www.argyllhoteliona.co.uk.
Historisch im Bishop's House, https://island-retreats.org/iona/bishops-house

Schottland-Infos: www.visitscotland.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2021)

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