Ausschreitungen

Kasachstan ruft russisch-geführte Sicherheitsallianz zuhilfe

Kazakh law enforcement officers are seen on a barricade during a protest triggered by fuel price increase in Almaty
Kazakh law enforcement officers are seen on a barricade during a protest triggered by fuel price increase in Almaty(c) REUTERS (PAVEL MIKHEYEV)
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Die zentralasiatische Republik Kasachstan ist durch gewaltsame Proteste gegen hohe Gaspreise in eine tiefe Krise gestürzt worden. Die Regierung trat am Mittwoch zurück.

Die zentralasiatische Republik Kasachstan ist durch gewaltsame Proteste gegen hohe Gaspreise in eine tiefe Krise gestürzt worden. Am Mittwoch trat die Regierung zurück. In dem autoritär geführten Land wurde der Ausnahmezustand verhängt. Am Mittwochabend hat der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew eine von Russland geführte Sicherheitsallianz in der Region um Hilfe gebeten. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) solle dabei helfen, einer "terroristischen Bedrohung" zu begegnen, erklärte Tokajew am Mittwoch.

Unterdessen griff das Militär ein. "Terroristische Banden" hätten sich in der Großstadt Almaty einen Kampf mit Fallschirmjägern geliefert, sagte Tokajew in einer Fernsehansprache. Der Flughafen der Stadt sei befreit. Es war die zweite im Fernsehen übertragene Ansprache des Präsidenten innerhalb weniger Stunden.

Zur OVKS gehören Russland, Belarus (Weißrussland), Armenien, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan. Zuvor hatten Demonstranten in der größten Stadt des Landes, Almaty, öffentliche Gebäude sowie die Redienz von Präsident Tokajew gestürmt und das Rathaus in Brand gesetzt. Dem Staatschef zufolge gab es dabei auch mehrere Todesopfer.

Die Lage war zunächst unübersichtlich. Genaue Opferzahlen gab es nicht. Auf jeden Fall ist es in der ehemaligen Sowjetrepublik, die Jahrzehnte lang von Machthaber Nursultan Nasarbajew regiert wurde, die größte Protestwelle seit Jahren. Das Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern grenzt an Russland, China und im Südwesten ans Kaspische Meer. Es ist reich an Öl, Gas und Uran. Trotzdem kämpft Kasachstan mit Misswirtschaft und Armut. Korruption ist verbreitet.

Chaos, Flammen, kein Internet mehr

In Almaty im Südosten des Landes herrschte Chaos. Die Nachrichtenagentur Tengrinews veröffentlichte Videos, die Flammen am Sitz der Stadtverwaltung zeigten. Schwarzer Rauch stieg auf. Immer wieder waren Knallgeräusche zu hören. Feuer sollen auch in anderen öffentlichen Einrichtungen ausgebrochen sein. Es brannte auch in der Residenz des Präsidenten. Demonstranten zerstörten Fenster mehrerer Gebäude und zündeten Autos an.

Wie viele Tausend Menschen sich an den Protesten beteiligten, war unklar. Am Nachmittag war es schwer, ein genaues Bild von der Lage zu bekommen. Das Internet wurde abgeschaltet - vermutlich, um neue Versammlungen zu erschweren. Mehrere Fernsehsender stellten den Betrieb ein. Zudem soll der Flughafen besetzt worden sein. Alle Flüge von und nach Almaty seien vorübergehend gestrichen worden, sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters. Die Behörden sprachen am Nachmittag allein in Almaty von 500 Verletzten.

Tokajew sagte in einer Ansprache: "Die Situation bedroht die Sicherheit aller Bürger von Almaty. Das kann nicht toleriert werden." Die Sicherheitskräfte würden "so hart wie möglich" vorgehen. Der Präsident kündigte zudem Reformen an. Konkret wurde er aber nicht. Der Präsident verhängte zudem den Ausnahmezustand über mehrere Landesteile, darunter Almaty und die neue Hauptstadt Nur-Sultan.

Bereits in der Nacht zuvor hatte es heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gegeben. Den Behörden zufolge wurden 190 Menschen verletzt. Auch in anderen Städten gingen Menschen auf die Straße. Landesweit gab es bis Mittwoch früh dem Innenministerium zufolge 200 Festnahmen.

Die EU zeigte sich am Mittwoch besorgt über die schweren Unruhen und rief die Staatsführung zur Einhaltung von internationalen Verpflichtungen auf. "Die Europäische Union fordert die Behörden auf, das Grundrecht auf friedlichen Protest zu achten", teilte eine Sprecherin des Auswärtigen Dienstes am Mittwoch in Brüssel mit. Zudem müsse die Anwendung von Gewalt zur Verteidigung von legitimen Sicherheitsinteressen verhältnismäßig erfolgen und die Pressefreiheit und der Zugang zu Informationen gewährleistet werden. Von den Demonstranten erwarte die EU, dass diese friedlich protestierten und nicht zu Gewalt anstachelten. Russland rief zu einer friedlichen Lösung des Konflikts auf. Ähnlich äußerten sich die US-Regierung. Washington rief zugleich die Behörden zur Zurückhaltung auf.

Gaspreise und Inflation als Auslöser

Der Protest hatte am Wochenende begonnen. Auslöser waren deutlich gestiegene Preise für Flüssiggas an den Tankstellen. Viele Kasachen tanken Flüssiggas, weil es billiger als Benzin ist. Die Regierung begründete die höheren Preise mit gestiegener Nachfrage. Seit Jahresbeginn wird der Gashandel komplett über die Energiebörse abgewickelt. Die Inflation stieg stark. Der Unmut in der Bevölkerung ist groß.

Tokajew versuchte, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. "Reagieren Sie nicht auf die Aufrufe, offizielle Gebäude zu stürmen. Das ist ein Verbrechen", sagte der Staatschef, der seit 2019 im Amt ist. Nach seiner Wahl hatte es ebenfalls Proteste mit Hunderten Festnahmen gegeben. Für die jetzige Gewalt machte der 68-Jährige "in- und ausländische Provokateure" verantwortlich.

Tokajew ordnete auch Preissenkungen an. Viele Demonstranten gaben sich damit nicht zufrieden. Unter dem Druck der Öffentlichkeit trat Ministerpräsident Askar Mamin mit seiner gesamten Regierung zurück. Der bisherige Vize Älichan Smajylow übernahm die Amtsgeschäfte. Russland rief zu einer friedlichen Lösung des Konflikts auf.

Kasachstan wurde bis 2019 von Nasarbajew regiert. Auch nach seinem Abgang blieb der Langzeitherrscher einflussreich, unter anderem als Chef des Sicherheitsrates. Tokajew kündigte nun an, dass er diesen Posten übernommen habe. Es gab auch Spekulationen über einen Umsturz.

(APA/red.)

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