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Digitaler Coach soll Stress im Home-Office lindern

Dieser digitale Coach soll helfen, besonders belastende Situationen zu überwinden und Burn-out vorzubeugen.
Dieser digitale Coach soll helfen, besonders belastende Situationen zu überwinden und Burn-out vorzubeugen. iMAGO / Wavebreak Media Ltd
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Was zunächst für Ältere gedacht war, könnte künftig vielen Menschen nutzen: In einem EU-Projekt entwickeln Forscher eine App, die besondere Belastungen erkennt und – medizinisch fundierte – Gegenmaßnahmen vorschlägt.

Miroslav Sili hat in seinem Forschungsprojekt schon viel für sich gelernt. „Wenn es sehr stressig ist, bin ich manchmal für 30 Minuten nicht erreichbar und höre Entspannungsmusik“, sagt er. Der 42-jährige, am Austrian Institute of Technology (AIT) angestellte Medieninformatiker leitet ein EU-weites Forschungsprojekt, in dem zehn Partner aus drei Ländern gemeinsam eine Stress-App entwickeln. Dieser digitale Coach soll helfen, besonders belastende Situationen zu überwinden und Burn-out vorzubeugen. Dazu ist auch das Wissen von Psychologen und Medizinern mit eingeflossen – u. a. ist die Med-Uni Wien Projektpartnerin.

Gedacht war die Anwendung eigentlich für über 55-Jährige, denen Stress meist mehr zu schaffen macht als Menschen in jüngeren Jahren. Doch die Pandemie brachte neue Ziele für die Forschung: „Wir haben gesehen, dass Stressbewältigung im Home-Office ein immer wichtigeres Thema ist“, schildert Sili. Dazu passt der umfassende Ansatz seines Projekts mHealthINX: Viele Apps würden nur einzelne Aspekte wie Entspannung oder Bewegung abdecken, nun seien breitere Anwendungen und digitale Interventionen vorgesehen. Diese reichten von Anleitungen für Meditationen über Atemübungen bis hin zu sanfter Bewegung. Künftige Projekte könnten auch Ernährungsaspekte einbringen. Sili will dann mit seiner Forschung noch stärker auf die Bedürfnisse im Home-Office abzielen: „Wir möchten den gesamten Lifestyle der Leute positiv verändern.“

Viel Halbwissen im Internet

Punkten will man mit dem niederschwelligen Ansatz: „Psychotherapeuten und Coaches sind teuer. Das Internet ist günstig, bietet aber eine Unzahl von Apps und viel Halbwissen“, sagt Sili. Aber freilich wolle man die Profis nicht ersetzen, sondern nur leicht zugängliche Lösungen für zu Hause schaffen: also Expertenwissen vermitteln, ohne dass immer ein Experte aufgesucht werden muss. Der aktuelle Prototyp soll nun den breiten Praxistest bestehen: 128 Probanden in den Niederlanden und der Schweiz wenden ab Jänner für neun Monate zu Hause und im Büro an, woran Entwickler rund zwei Jahre gearbeitet haben. Das aktuelle Ergebnis ist eine Kombination aus einer App, einem Messgerät und einer Virtual-Reality-Brille (VR-Brille). Das kompakte Messgerät – es ist in etwa so groß wie ein Leuchtmarker – hält die Herzratenvariabilität fest. Diese hängt mit dem Entspannungsgrad des Nervensystems zusammen und erlaubt so Rückschlüsse auf den aktuellen Stresspegel. Ergänzend gibt es Fragen zur subjektiv empfundenen Belastung.

Die VR-Brille ist das Vehikel, um Reisen abseits des Alltags zu unternehmen. In der Testversion leitet etwa ein Vogel einen Achtsamkeitsspaziergang an. Dabei folgt man ihm, stellt sich Gerüche vor, oder geht zu einem Teich und hebt dort Steine auf. Währenddessen steht man im – realen – Raum und bewegt sich entsprechend. Das gehe im Büro freilich nicht immer, räumt Sili selbst ein. Dort sollen akute Interventionen über das Handy passieren: Die Komponenten des System sind einzeln oder im Verbund nutzbar.

Was haben frühere Versuche mit Testnutzern gezeigt? „Bisher haben wir nur die Technik ohne die Inhalte auf ihre Nutzerfreundlichkeit untersucht“, erläutert Sili. Die Probanden sollten die Bedienung beurteilen und auch die Farbe. Doch schon dabei gab es in früheren Projekten Aha-Erlebnisse: „In Italien ist Lila mit dem Tod verbunden, wir haben die Benutzeroberfläche also schnell wieder geändert“, erzählt Sili. Im kommenden Jahr wollen die Wissenschaftler des AIT den digitalen Stresscoach vermehrt mit Experten aus der Wirtschaft und auch mit Psychologen diskutieren. 2023 endet das Projekt, 2024 soll das Produkt marktreif sein. Bis dahin gilt es wohl, sich zwischendurch einfach einmal so auszuklinken und Entspannungsmusik zu hören.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2022)

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