Junge Forschung

Menschen mit Mathematik heilen

Lena Tschiderer wendet mathematische Theorie auf Daten aus medizinischen Studien an. So will sie Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten finden.
Lena Tschiderer wendet mathematische Theorie auf Daten aus medizinischen Studien an. So will sie Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten finden.Thomas Böhm Photographie Imst
  • Drucken

Die Tiroler Forscherin Lena Tschiderer untersucht an der Medizinischen Universität Innsbruck geschlechtsspezifische Unterschiede bei Atherosklerose und ihren Folgen.

Eigentlich hatte sie sich schon entschieden. Nach der Matura wollte Lena Tschiderer Medizin studieren. Im letzten Moment schwenkte die heute 28-Jährige um – und inskribierte sich für Technische Mathematik. „Das war recht spontan“, erinnert sich Tschiderer. „Es fühlte sich nach etwas Besonderem an, und mir gefiel, wie viel man mit Mathematik machen kann, wenn man die Konzepte dahinter einmal verstanden hat.“ Doch der Wunsch, Kranken zu helfen, ließ sie nicht los.

Und so kam es, dass sie zehn Jahre später an der Med-Uni Innsbruck forscht. Hier setzt sie ihre Mathematik-Expertise ein, um neue medizinische Erkenntnisse zu generieren. Den Ausschlag zu diesem Brückenschlag gab kurz vor ihrem Abschluss eine offene Stelle an der Med-Uni im Bereich Statistik und Data Science. „Das war die perfekte Gelegenheit für mich“, meint Tschiderer.

Krankheitsrisken aufdecken

Zur Person

Für ihre anschließende Dissertation in Neurowissenschaften folgte sie ihrem Doktorvater, Peter Willeit, vorübergehend an die Universität Cambridge (Großbritannien). Dort war sie am Aufbau des Proof-Athero-Konsortiums mit Fokus Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atherosklerose beteiligt. Die in diesem Kontext gesammelten epidemiologischen Daten aus 74 Studien mit über 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind ein wertvoller Schatz, auf den Tschiderer nach wie vor zugreift. Aktuell etwa für ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt zu Geschlechtsunterschieden bei Atherosklerose, einer krankhaften Veränderung der Arterien. Sie ergänzt die Daten aus diesen und weiteren Studien um verschiedene frauenspezifische Parameter zu Menopause oder Schwangerschaft. „Man weiß, dass viele dieser Faktoren mit einem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängen“, erklärt Tschiderer. Zuletzt konnte sie zum Beispiel gemeinsam mit dem Team um Willeit einen Zusammenhang von Stillen und einem niedrigeren kardiovaskulären Risiko belegen.

Für das FWF-Projekt kooperiert sie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Unis Innsbruck und Utrecht (Niederlande). An Zweitere wechselt sie ab März für ein halbes Jahr als Gastwissenschaftlerin. Auf die kommende Zeit im Ausland blickt sie mit großer Vorfreude – und das nicht nur aus Forschungsperspektive. Bot ihr das Reisen doch vor der Pandemie stets einen Ausgleich zum Berufsleben. In ihrer Freizeit zieht es sie aber nicht nur in die Ferne, sondern auch in die Tiroler Natur, zum Wandern, Skitourengehen und Pilze-Sammeln – als Ausgleich zur computerlastigen Arbeit.

Momentan ist die Mathematikerin damit beschäftigt, die Studiendaten für den Atherosklerose-Geschlechtervergleich zu systematisieren und in Form zu bringen. „Anschließend kombiniere ich sie mit Daten zu Lifestyle- und Risikofaktoren bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt sei. „Dazu gehören Daten zu Cholesterin, Diabetes, Vorerkrankungen, Medikamente, BMI oder Rauchen.“ Ebenfalls relevant seien spezifische Atherosklerose-Marker. Dazu zählt die Intima-Media-Dicke, also die Dicke der Halsschlagader, die mittels Ultraschall gemessen werden kann. „Je dicker sie ist, desto mehr Ablagerungen gibt es, desto größer ist das Risiko für eine spätere Herz-Kreislauf-Erkrankung.“ Bereits in ihrer Doktorarbeit konnte Tschiderer in einer Meta-Analyse zeigen, wie dieser Wert effizient für Herz-Kreislauf-Studien genutzt werden kann.

Was sie an Geschlechtsunterschieden in der Medizin interessiert? „Früher wurden Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Männer-Krankheiten angesehen. Und selbst heute stellen sich viele den klassischen Patienten noch als Mann vor“, so Tschiderer. „Dabei ist längst klar, dass Männer und Frauen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gleichermaßen betroffen sind. Um allen auch gleichberechtigt helfen zu können, müssen Ärztinnen und Ärzte aber die Unterschiede kennen und erkennen.“ So gehe etwa eine früh einsetzende Menopause mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einher. „Der lange Weg, bis Erkenntnisse in der Praxis angelangt sind, ist manchmal frustrierend“, meint sie. Umso wichtiger sei es, dranzubleiben.Lena Tschiderer (28) forscht mit einem Hertha-Firnberg-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF an der Med-Uni Innsbruck zu Geschlechtsunterschieden bei Atherosklerose. Die Tirolerin studierte Technische Mathematik (Uni Innsbruck) und promovierte 2020 in Neurowissenschaften (Med-Uni Innsbruck). Für ihre Doktorarbeit erhielt sie vergangenen Dezember den Otto-Seibert-Preis.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.