Radioaktivität

Radioaktive Last plätschert talwärts

Gletscher haben eine vergleichsweise starke radioaktive Belastung abbekommen. Sie ist noch immer vorhanden.
Gletscher haben eine vergleichsweise starke radioaktive Belastung abbekommen. Sie ist noch immer vorhanden. APA
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Radioaktive Substanzen reichern sich auf Gletschern an. Klimakrise, Erwärmung und Abschmelzen sind die Ursachen – und auch die Lösung des Problems, wenigstens punktuell.

Die ursprünglichen Auslöser liegen Jahrzehnte zurück: Es sind die Tage zwischen 29. April und erste Mai jenes Jahres, die die Wissenschaftler beschäftigen. Man schrieb das Jahr 1986 und – wir erinnern uns – in diesem Jahr ist es im ukrainischen (damals sowjetischen) Atomkraftwerk Tschernobyl zu einer verheerenden Katastrophe gekommen. Die Wolken, die an diesen drei Tagen Niederschlag über Österreich gebracht hatten, hatten eine gefährliche Fracht: Radioaktivität.

Die Last, die auf die Gletscher niederging, ist die höchste Belastung außerhalb des heutigen Weißrusslands und der heutigen Ukraine: 18,7 kiloBequerel. Sie gingen nieder auf einer Grundlage, auf der bereits eine radioaktive Belastung lagerte, im Ausmaß von weiteren 2,3 kBq. Diese Belastung ist auf die Atombombentest der 1950 und 1960er Jahre zurückzuführen.

Die Kontamination durch langlebige radioaktive Substanzen hat nur im Ausmaß ihrer physikalischen Halbwertszeiten abgenommen. Sie ist heute noch auf den Gletschern (oder was von ihnen übrig ist) nachweisbar, zumal die Halbwertszeit der niedergegangenen Radionuklide sehr, sehr lang ist. Nachgewiesen wurden da Caesium 134 und 137, Plutonium 238, 239 und 240, Strontium 90, oder Cobalt 60 – um nur einige zu nennen. 239Pu etwa hat eine Halbwertszeit von 24.110 Jahre, 238Pu immerhin 87,4 Jahre, 240Pu jedoch 6561 Jahre, 137Cs 30,2 Jahre. Es dauert also, bis sich das Problem von selbst erledigt.

In zwei Studien hat eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern um Herbert Lettner, Professor an der Universität Salzburg (er ist seit kurzem im Ruhestand), auf dem Schladminger und Hallstätter Gletscher sowie auf dem Stubacher Sonnblickkees die hohen Radionuklidanreicherungen wissenschaftlich bearbeitet.

Konkret geht es um das Phänomen, dass radioaktive Substanzen aus der Luft abgelagert und sich unter bestimmten Bedingungen auf der Gletscheroberfläche ablagern. Radioaktive Substanzen haften an luftgetragenem und auf der Gletscheroberfläche deponiertem „Staub“. Dieser radioaktive Staub absorbiert vermehrt Sonnenstrahlung und bildet im Eis Vertiefungen aus, in denen sich die Radionuklide anreichern können.

Durch den Feinstaub wiederum bekommt die Oberfläche des Gletschers eine andere Struktur und wird dunkler. Dadurch verändert sich die „Albedo“ – die Abstrahlung der Sonnenenergie ins All. Sie ist am höchsten bei unverschmutztem Schnee und Eis. Und sie nimmt ab, wenn sich Feinstaub aufs Eis legt. An der Oberfläche wird mehr Energie aufgenommen, das Schmelzen beschleunigt sich, die Löcher werden größer, es sammeln sich mehr radioaktiv belastete Partikel. Infolge des Klimawandels ist eine Tendenz der Verstärkung dieses Prozesses zu beobachten

Das deponierte Material nennen die Forscher „Cryoconite“, die sich in den Vertiefungen im Eis sammeln; eine Gefährdung auf Gletschertouren sei im Normalfall so gut wie auszuschließen, meint Lettner: „Eine luftgetragene Exposition ist bisher nicht beobachtet worden. Gefährlich könnte es nur sein, wenn man das Material irgendwie inkorporiert. Aber das ist wohl auszuschließen.“

Die derzeitigen Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich das Problem in den Hochgebirgsregionen schneller löst als dies der Zerfall der Radionuklide besorgen könnte. Durch das beschleunigte Fortschreiten des Abschmelzens verschwinden die Vertiefungen im Eis, die radioaktive Fracht plätschert talwärts – und bleibt entweder im Gelände hängen oder wird in den nächsten Bach oder in einen See gespült.

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