Filmretrospektive

Rakhshan Banietemad: Mit Gefühlen gegen die Zensur

"Under the Skin of the City" von Rakhshan Banietemad.
"Under the Skin of the City" von Rakhshan Banietemad.(c) Österreichisches Filmmuseum
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Das Filmmuseum würdigt bis 28. 2. die große iranische Filmemacherin Rakhshan Banietemad. Bis heute setzt sie Stadt- und Frauenleben ohne Scheuklappen ins Bild.

Es ist die Frauenhand, ummantelt von einem roten Ärmel, die in „The Blue Veiled“ durch eine abgewetzte Metalltür nach außen langt und einem alten Mann die braune Aktentasche abnimmt, zum Zeichen, dass er eintreten darf. Eine kurze, unscheinbare Geste, aus der doch so viele Sehnsüchte sprechen: die des Mannes, seine Verantwortung als Witwer, Vater und Fabriksbesitzer abzulegen und seinem Begehren, ja, seiner Liebe ohne Rücksicht auf überkommene Rollenbilder nachzugeben. Und die der Frau, einer Saisonarbeiterin, sich nicht mehr um die Klassenkluft zu kümmern, die sie von ihrem Vorgesetzten trennt, ihre Verbindung nicht mehr zu verstecken, alle lähmenden Ängste auszutreiben.

Oder der Augenblick, in dem ein Mädchen in „Under the Skin of the City“ ihre Nachbarin im Park trifft. Diese war von zu Hause ausgebüxt, weil ihr Bruder sie schlug, man hörte die Schreie hinter der Mauer des Hofs. Eine heimliche Botschaft, verfasst mit unsichtbarer Tinte, rief ihre Freundin auf den Plan. Jetzt stehen sie sich wieder gegenüber, schweigen, schauen, fallen sich dann weinend um den Hals. Kurz sieht man sie spazieren, Hand in Hand – ein Moment des Glücks, des Friedens. Doch dann ruft jemand: „Lauft, die Bullen!“ Landstreicherei ist ein Delikt: Die Realität schlägt zurück.

Es sind die Lichtblicke und Gefühlsschübe, die emotionalen Schlupflöcher und Befreiungsschläge im Rahmen einer oft beklemmenden Wirklichkeit, die Rakhshan Banietemads Werk nicht nur im iranischen Kino auszeichnen. Die 67-jährige Filmemacherin, der das Wiener Filmmuseum derzeit eine Retrospektive widmet, scheute sich nie vor melodramatischen Wendungen – denn vor dem Hintergrund ihrer unverblümten Sittenbilder wirken sie nie platt oder billig, sondern kraftvoll und mutig in ihrem Griff nach den Herzen des Publikums.

Außenseiter und Tabuthemen

Banietemad begann bereits 1979, kurz vor deriranischen Revolution, in verschiedenen Funktionen für Film und Fernsehen zu arbeiten. Besonders mit sozialkritischen Dokus, die Missstände der urbanen Verwaltung ins Licht rückten, tat sie sich hervor. Schon hier lag ihr Fokus auf den Auswirkungen, die sozialer Druck und politische Indifferenz auf das Leben von Frauen haben – beileibe keine Selbstverständlichkeit in ihrem Land.

Banietemads Spielfilme gingen noch weiter. „Nargess“ (1992), ihr Debüt als Autorenfilmerin, handelt von einem verhängnisvollen Liebesdreieck. Ein Dieb verliebt sich in eine junge Frau, träumt von einem besseren Leben mit ihr. Doch seine alte „Partnerin in Crime“, der er vieles verdankt, will ihn nicht ziehen lassen. Farima Farjami spielt diese tragische Figur mit einer für das iranische Kino der Zeit unerhörten (sexuellen) Eigenwilligkeit, bisweilen erinnert sie gar an Ann Savages legendäre Femme fatale aus Edgar G. Ulmers Hollywood-B-Movie-Klassiker „Detour“ (1945). Auch sie steckt im Strudel aus Abhängigkeiten, dem hier alle Figuren anheimfallen. Das ungeputzte Stadtporträt und die randständigen Hauptfiguren des Films sind meilenweit von den bildschönen Poesiealben entfernt, die man bis heute oft mit dem iranischen Kino verbindet; gleichwohl sich diese Vorstellung dank Festivalehren für neuere, politisch aufgeladene Arbeiten wie „Doch das Böse gibt es nicht“ oder „Ballade von der weißen Kuh“ (siehe Kritik rechts) langsam ändert.

Banietemads frühe Filme fanden im Iran großen Anklang. Angesichts der Fülle an lebensweltlichen Details, die sie ästhetisch und inhaltlich einschließen, wundert das kaum. So erzählt das autobiografisch angehauchte Mutter-Sohn-Porträt „The May Lady“ (1998) beiläufig einiges darüber, wie Geschlechterrollen im Teheraner Alltag walten (und unterwandert werden). Indes fächert der Ensemblefilm „Under The Skin of the City“ über seine Familiengeschichte ein hellsichtiges Sozialpanorama auf.

Im Laufe der Zeit hat Banietemad ein eigenes Erzähluniversum geschaffen, das sie in jüngeren Filmen – die auch Tabuthemen wie Drogenabhängigkeit behandeln – erweitert, manche Figuren kommen bei ihr immer wieder vor. Auch Dokus dreht sie nach wie vor – zuletzt etwa ein Porträt der Bildungspionierin Touran Mirhadi. Die Zensur macht ihre Arbeit nicht leichter. Doch entmutigen lässt sich Banietemad nicht.

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